Herrensohn
Unser Wohltäter, Herrn ‘Aabid Hussains Vater, der ehrwürdige Mirza Baaqir Hussain, lebte irgendwo in des seligen Lord ‘Aabas, Gott sei ihm gnädig, Grabes Nähe. Es war eine rechte Familie. Sie empfingen, ohne Verpflichtung zum Dienste, zehn Rupien monatlich aus dem Vermögen des edlen Prinzen Alladaulah, des Ehrenwerten. Es war Gottes Gnade, dass sie ihre Tage sorgenfrei verbrachten. Die Herrin trug für dreihundert Rupien Juwelen an den Händen und um den Hals, für hundertfünfzig Rupien war Mobiliar im Haus. Zehn‑zwanzig Rupien sind schon mal aus der Geldkiste herausgekommen. ‘Aabid Hussains Mutter entfachte nie selbst ein Feuer, immer war eine Dienerin da, und ‘Aabid Hussain liess keine Gelegenheit verstreichen, um grosszügig zehn‑zwanzig auszugeben. Der Dominionstatus würde wohl nie kommen. ‘Aabid Hussain beging seine Vermählung dem Brauch und seinen Ambitionen entsprechend in guter Weise ‑ wenn auch zu dieser Zeit der selige Herr Mirza zu einem gewissen Grade in Schulden geraten war ‑ war doch die Zeit noch nicht gekommen, die Mitgift zu verkaufen. Am Jahrestage der Vermählung wurde ein Junge geboren, und am sechsten Tage die Namensgebung mit grossem Pomp begangen. Solange Mutter und Vater am Leben waren, brauchte sich Mirza ‘Aabid Hussain um Essen und Trinken nicht zu sorgen. Im Quartier lebte ein Herr Maulvi, von ihm lernte er Persisch. In der Schule erlernte er Englisch.
Als Mirza Baaqir verschied, war ‘Aabid Hussain bis zur mittleren Klasse gelangt. Wenn auch Grossvaters Sterben ein schwerer Schlag war, kam er doch irgendwie durch die Schlussprüfung der mittleren Klasse.
Nach Vaters Hinschied fiel die Last des Haushaltes auf sein Haupt. Aber vor den Ausgaben hatte er in gewissem Grade Ruhe, da aus dem Haushalte des Prinzen seiner Mutter monatlich sieben Rupien zugingen. Aber zu seinem Unglücke war das Jahr nicht voll, als der Prinz nach dem heiligen Karbala aufbrach und dort angelangt zwei Monate später verschied.
Er war jetzt in der Abschlussklasse. Als die Einkünfte von Aussen versiegten, begann er, für die täglichen Ausgaben Hausrat zu verkaufen, bis Gold‑ und Silbersachen verkauft waren. Die Stunde der Kupfergefässe kam, auch sie wurden eins ums andere verkauft, bis ausser zwei‑drei Bratpfannen und zwei Kochtöpfen nichts übrig blieb.
Er ging immer noch zur Schule und alle Hoffnungen hingen davon ab, ob er die Prüfung bestehen würde. Bis die Zeit der Prüfung näher rückte. Der Rektor verlangte die Gebühren. Durch Versetzen der Armringe der Gattin wurden zehn Rupien Gebühren zusammengebracht. Bis zur Prüfung verblieben noch zwei Tage, als die Mutter in Fieber verfiel und genau an jenem Tage verschied, an der er zur Prüfung zu erscheinen hatte. Dieses plötzlichen Unglückes wegen war der Arme in der Prüfung erfolglos. Der Lohn seiner Anstrengungen wurde zu Staub.
Mit dem Tode seiner Mutter brach über seinem Kopfe der Himmel ein. Die ganze Last des Hausvaters fiel plötzlich an. Der Hausrat und die Mitgift der Frau waren zu Lebzeiten der Mutter verkauft und verbraucht worden, und was verblieben war, war für das Begräbnis und die Kosten der Gebete am Grabe dahingegangen. Jetzt ist keine Kleinigkeit mehr im Hause, die sie versetzen oder an Zahlung geben könnten. Im Hause ist er selbst, die Gattin, ein Knabe, ungefähr dreijährig, ein Mädchen von sechs Monaten sitzt auf dem Schoss ‑ es zeichnet sich keine Anstellung ab und auch keine Hoffnung darauf, sondern er hat bis jetzt nichts als studiert. Bis zur nächsten Prüfung bleiben sechs Monate. Wie auch immer, diesmal musste er sie bestehen. Schliesslich konnte er nichts machen. Eine Plage war der Gemüsehändler. Er verpfändete das Haus an ihn für hundert Rupien, wobei es ihnen nicht weiter zur Verfügung stand. Selbst zogen sie in eine Lehmhütte am Kanal des Mahmud‑Quartiers, deren Miete eine Rupie monatlich war. Gut, für die Zeit bis zur Prüfung waren sie versorgt. Er arbeitet bis zur Erschöpfung. Gott sei Dank bestand er die Prüfung. Jetzt begann die Stellensuche.
Heute hat er das Haus sehr bedrückt verlassen. Sein Gesicht ist eingefallen. Er hat Ringe um die Augen bekommen. Vor Schwäche vermag er kaum die Füsse zu heben.
(Im Herzen gesagt:) „Ach! Heute ist der zweite Tag, dass Frau und Kinder ohne zu essen bleiben.“ Die Gesichter der Menschen, die ihm auf der Strasse entgegenkommen, erscheinen ihm eher fröhlich. Die Läden der Gemüsehändler sind mit Früchten und Gemüsen angefüllt. Die Bäcker ziehen heisse Milch‑ und Hefebrote aus dem Ofen. Aus den Frühstückspfannen steigt heisser, heisser Dampf auf. Im Laden des Zuckerbäckers ist auch frisches, frisches Halwa Sohan gemacht worden. Die Strasse ist voll von Gerüchen. In den Läden der Halwa‑Macher sind Puuris, Katschoris, ist Halwa, sind Süssigkeiten auf Blättern ausgelegt. „Gar nichts davon ist unser oder unserer armen Frau und Kinder Teil.“ Im Laden des Geldwechslers liegen haufenweise Paisas. Die Leute lassen die Rupien wie Glöcklein klingeln. „Uns ist nicht ein einziger Paisa erreichbar, um für die eigenen Kinder Kichererbsen aufzutreiben.“
Das Zulassungszeugnis ist in der Tasche. Wenn ein wenig Sirup erhältlich wäre, hätte er schrecklich gerne probiert oder Frau und Kindern zum Versuchen gegeben. „Ach! Ich habe einen grossen Fehler gemacht. Ich ging nach dem mittleren Examen in das Rourkey College. Zwei Jahre wurden irgendwie durchgebracht. Diikhu Raam Tscharan bestand das mittlere Examen mit mir zusammen. Jetzt höre ich, dass es ihm in Raae Bareli blödsinnig gut gehe. So Gott will, geht er sogar ins Medical College. Der Rektor hat mir zu jener Zeit gesagt: ‘Eventuell’. Leider schlug ich mit eigenen Händen die Axt in die eigenen Füsse. Drei Jahre Mühe waren umsonst. Was war jetzt möglich?“ Nun war es fast zehn Uhr. Die Leute, die in Büros arbeiteten, fuhren in Ikkas zur Arbeit. Ein‑zwei Ikka-Männer sprachen ihn an:
„Kommen sie hierher, Herr Lehrer. Wollen Sie zum Hazrat‑Markt?“ Der Arme ging tatsächlich Richtung Hazrat‑Markt, aber wo war Geld, um zu fahren? Er schwieg. Er bewegte sich am Strassenrand.
Der Gatte also war auf Stellensuche. Hören Sie nun, wie es der Frau erging. Diese Arme war seit sie sich erhoben hatte, damit beschäftigt, eine Mütze zu besticken. Eine Bordüre war seit einigen Tagen beendet, an der zweiten verblieb noch etwas Arbeit. Schliesslich sind zu dieser Zeit beide Bordüren fertig. Jetzt musste für den Verkauf gesorgt werden. Im Hause gab es ein Fenster, dorthin ging sie und rief: „Nachbarin!“ Die Nachbarin kam zum Fenster. ‘Aabid Hussains Frau: „Nachbarin, ist Dein Gatte zuhause?“ Nachbarin: „Ja. Ist die Mütze fertig geworden?“ ‘Aabid Hussains Frau: „Ja, Schwester. Gott sei Lob und Dank, heute ist sie beendet. Zeig sie doch mal Deinem Gatten.“ Die Nachbarin brachte die Mütze ihrem Gatten. Gatte: „Ja, diese Mütze ist schön gearbeitet. Nachbarin: „Zum Glück! Wieviel wird sie Wert sein.?“ Gatte: „Durch Zeigen im Bazaar wird der Preis zu erfahren sein. Meiner Meinung nach wird er bei zehn-zwölf Aanas liegen.“ Frau: „Gut, dann bring sie zum Verkaufen. Im Heim der Armen ist heute der dritte Hungertag. Die Kinder liegen wie ohnmächtig.“ Gatte: „Der dritte Hungertag! Du hast nichts gesagt, dass vom Laden etwas gebracht wird.“
Frau: „Sei still. Sie steht am Fenster. Sie darf das nicht hören. Es sind sehr stolze Leute. Hoffentlich verkauft sie sich gut, sonst ‑ es ist nicht auszudenken. Gepumpt oder geliehen nehmen sie gar nichts. Frau und Gatte sind da einer Meinung. Wenn sie hungern, lassen sie nicht einmal die Kinder aus dem Haus.“ Gatte: „Es ist eine sehr vornehme Familie. Jetzt hat Gott ihnen Unglück auferlegt. Seines Vaters Art war anders. Gut, also gib, ich versuche die Mütze schnell zu verkaufen.“ Nachdem er das gesagt hatte, hob Herr Hussain ‘Aali seinen Rock von der Kleiderstange und zog ihn an. Setzte seine Mütze auf und versorgte die bestickte Mütze in der Tasche. Schnell erreichte er die Gasse der Papierhändler. Ein‑zwei Ladenbesitzern zeigte er die beiden Bordüren. Einem schien sie elf Aanas wer, einem schien sie zwölf Aanas wer. Ein Herr betrachtete in einem Laden mit Kennermiene Mützen. Der überflog mit einem flüchtigen Blick die beiden Bordüren und gab ihm mit den Augen ein Zeichen. Er nahm die Mütze von dem Ladenbesitzer, ging ein kleines Stück weiter und blieb stehen. Nach kurzer Zeit kam jener. Käufer: „Gut, für wieviel gebt Ihr sie?“ Hussain ‘Aali: „Hoheit, es ist nicht meine Ware, wessen Ware es ist, der hat mir aufgetragen, unter einer Rupie sie nicht herzugeben. Nun ist es Euch überlassen, nehmt oder nehmt nicht.“ Käufer: „Der Ladenbesitzer bot zwölf Aanas, Ihr fordert eine Rupie? So ein Unterschied?“ Hussain ‘Aali: „“Händler wollen doch immer weniger geben, als sie selbst verlangen. Hätte er sie verkauft, hätte er auch soviel verlangt. Käufer: „Gut, nimm doch vierzehn Aanas. Hussain ‘Aali: „Weniger als eine Rupie wird es keinesfalls sein.“ Käufer (nachdem er die Mütze nochmal von allen Seiten angeschaut hat): „Gut ‑ also halt eine Rupie ‑ für Deine ganze Ausdauer.’ Hussain ‘Aali: ‘Recht so! Sagen Sie Herr, ist sie nicht wunderhübsch?“ Käufer: „Kein Zweifel, sie ist gut gemacht, sind weitere solche erhältlich?“ Hussain ‘Aali: „Ja, und ich weiss wo. Ich habe einen Handwerker, von ihm wird alle zehn-zwölf Tage eine Mütze fertig.“ Käufer: „Gut, dann gebt uns die Mütze, an der jetzt gearbeitet wird. Wo ist Dein Haus?“ Hussain ‘Aali: „Sagen Sie Ihres edlen Hauses Anschrift. An dem Tag, wann die Mütze fertig wird, werde ich sie mitbringen und meine Aufwartung machen.“ Käufer: „Im Korber‑Quartier, in der Nähe des Arzthauses sitzt Herr Nawaab Muhammad ‘Abbas in einer Wohnung, von ihm erfrage, wo Herr Miir ist, oder, wo er anzutreffen sein wird. Komm, nimm die Rupie da. Vor lauter Reden habe ich vergessen sie zu geben.“ Hussain ‘Aali: „Kein Aufheben! Ich hätte sie schon erhalten.“
Der Käufer gab die Rupie und ging dorthin. Hierhin lenkte seine Schritte glücklich glücklich Gatte Hussain ‘Aali in des Hauses Richtung.
Bravo! Gibt es heute noch solche Leute, die glücklich sind, etwas für ihren Nächsten getan zu haben? Ja, es gibt sie. Und sie sind unter jenen, welche die verblendeten Diener des Geldes verachten, und deren Benehmen offen und ehrlich ist. Deshalb halten die Leute sie für dumm. Jene höchste Stufe des Wissens haben sie nicht erreicht, die selbst die Grundlagen der Selbstsucht lehrt. Deshalb werden sie Idioten genannt. Jene Kenntnis der Umgangsformen haben sie sich nicht angeeignet, bei welcher Protz und Schein die wirklichen Begierden der Menschen verdecken. Deshalb werden die Armen für einfältig gehalten. Jene absurde Philosophie haben sie nicht gelernt, die Zweifel in die geheiligten Grundlagen der Religion sät.
Sobald Husain ‘Ali mit der Rupie ankam, gab er sie seiner Frau. Die Frau rannte glücklich, glücklich weg. Sie rief Mirza ‘Abid Husains Frau ans Fenster. Sie übergab die Rupie. Dieser Stunde Glück konnte diese gutmütige und arme Hausfrau weder ausdrücken noch beschreiben. Der Wert dieser Rupie könnte jene ermessen, deren Kinder seit zwei Tagen nichts gegessen hätten. Deren Gatte täglich des Morgens hungrig durstig auf Arbeitssuche ausgeht und Abends niedergeschlagen heimkommt und stumm schlafen geht. Die Frau gab einen Teil der Rupie dem lieben Husain ‘Ali. Vom Laden des Händlers liess er zum Essen Getreide kommen. Den Kindern gab sie schnell zwei Löffel Erbsen zu Essen. Tränkte sie mit Wasser und legte sie schlafen. Selbst ass sie nichts. Für eine Mütze war noch Tuch übrig. Sie holte das Stickzeug hervor. Packte die Stempel aus. Goss ein wenig Wasser in die Pulvertusche und druckte die Mütze vor. Sie begann zu sticken. Vor Hunger sah sie die Stiche nicht. Die Blütenwangen welkten. Die Hände zitterten. Aber konnte sie ohne Gatten essen? Das Herz ist stark. Für vier Tage sind Esswaren im Haus vorrätig. Der Ehemann wird am Abend kommen. Gott sorge, dass sich heute eine Arbeit finde. Wie gut wäre das. Bei diesem Gedanken seufzte sie tief und zwei Tränen rollten ihre Wangen hinunter. Die Hand hielt an. Sie wischte die Tränen mit dem Saum des Schals. Dann begann sie rasch zu sticken.
Nun wird es vier Uhr sein. Es ist Zeit das Essen zu kochen. Sie denkt, „ich beendige diese Blume, dann stehe ich auf.“ Die Blume war fertig. Sie nahm die Mütze in die Hand, breitete mit beiden Händen die Seiten aus und strich die Falten glatt. Die gestickten Blumen betrachtete sie sorgfältig. Dann steckte sie die Nadel hindurch und packte die Mütze in die Stickzeugtasche. Stand auf. Wusch sich. Betete das Nachmittagsgebet. Dann wog sie ab und brachte aus der Speisekammer Mehl und Erbsen. Legte Salz und Gewürze getrennt zurecht. Fachte im Herd Feuer an. Wusch die Erbsen und setzte sie auf. Sass ab das Mehl mit Wasser zu mischen. Hier kehrt ‘Abid Husain am frühen Abend nach Hause zurück. Den ganzen Tag besuchte er Büros. Zu zehn-zwölf Häusern ging er, aber wohin er ging und vorsprach, wurde dieselbe Antwort gegeben: „Es ist keine Stelle frei.“ Ein Herr gab ihm diesen Rat: „Geh zum Sadr Bazar. Vielleicht könnt Ihr den Weissen als Urdulehrer dienen.“ Er ging zum Sadr. Er streifte und streifte um die Baracken herum. Ein‑zwei Weisse liessen ihn sogar rufen. Aber er verstand sie nicht, noch verstanden sie ihn. Die Sache ist die, erstens, wieviel Englisch er überhaupt gelernt hatte, zweitens, dass, was er gelernt hatte, das hatte er von indischen Meistern gelernt. Die Aussprache jenes Herrn, der in der Aufnahmeklasse Englisch unterrichtet hatte, war sehr sauber gewesen. Auch ihn verstand er nur mit Schwierigkeiten. Wie hätte er da der Weissen Akzent verstehen können. Im Ergebnis, wohin er auch ging, machte er sich selbst zum Narren. Unter dieser Herumstrolcherei wurde es Abend. Vor Müdigkeit vermag er kaum noch zu gehen. Bei jedem Schritt schwindelt ihm. Aber er muss das Heim doch auf die eine oder andere Weise wieder erreichen. In welchem Zustande er Frau und Kinder zuhause verlassen hatte, dieses Bild stand ihm den ganzen Tag vor Augen, aber die Hoffnung ist etwas Grosses. Sie hielt ihn den ganzen Tag aufrecht. Sie bewegte ihn mächtig. Als sie ihn richtig ermüdet hatte, verliess sie ihn. Nun war jener alte Freund an der Reihe, den sie „Verzweiflung“ nennen. Dem verblieb nichts, als ihm den Tod vor Augen zu stellen. Letztlich, was bedeutet „sein“? Wenn es so ist, können wir auch sterben. Ach, selbst zu sterben war nicht so schwer. Wer kann zusehen, wenn die kleinen, kleinen Kinder, mit ihren Füsschen zitternd und zappelnd sterben. Oh! Welch böses Missgeschick ist die Armut. Und er kann sie nicht loswerden. Ach, hätte er nur weder Frau noch Kinder. Ich habe die Unglücklichen mit ins Verderben gerissen. Er vermochte nichts. Was soll ich nur tun. Das dachte er, als ihm schwindelte. Er musste sich am Strassenrand ins Gras setzen. Er wollte sich erheben, aber kam nicht hoch. Er dachte sich: „Was soll ich zuhause. Geh gerade zur Perlenpalast-Brücke und stürze dich vom Geländer in den Fluss. Ertränke dich.“
Der Rat der Hoffnungslosigkeit begann ihm zu gefallen, als ihm seiner Frau und Kinder Hilflosigkeit zu Sinn kam. Unwillkürlich fielen Tränen aus seinen Augen. Gut, etwas ist besser als gar nichts. Meine Existenz ist diesen Armen doch eine gewisse Hilfe. Es ist nicht gut, jemandes Hoffnungen zu zerstören. Welche Schwäche ist dies. Nun ist auf Familienstolz und falsche Scham zu verzichten. In diesen Zeiten eine Stelle finden, ‑‑ ist unmöglich. Von Morgen an muss ich einen Korb nehmen und in den Chowk gehen. Wenn sich auch keine Arbeit findet, ‑‑ harte Arbeit ist nichts Schlechtes, ‑‑ bis zum Abend verdiene ich zwei Annas, und die Kinder werden nicht mehr zu hungern brauchen. Gut, wenn das nicht geht, dann muss das verpfändete Haus verkauft werden. Mit den zehn oder zwanzig, die wir gewännen, eröffneten wir in Nakhas einen Trödlerladen. Vielleicht funktioniert das.
Er war in diesen Gedanken versunken, als ein Mann, wohl vom Land, mit Kopftuch, altmodischen Hemd und Dhoti sich nahe bei hinsetzte. Er war am Aufstehen, da fragte dieser Mann: „Lieber Herr, haben Sie etwas Phersisch studiert?“ ‘Abid Husain: „Ja, ich habe es gelernt, warum?“ Jener Mann: „Ich habe einen Brief zum Lesen. ‘Abid Husain: „Ich lese ihn schon vor, aber wo ist hier Licht?“ Jener Mann: „Bitte kommen Sie zur Laterne davorn und lesen Sie dort.“ ‘Abid sagte, „Lauf!“ und kam zur Laterne. Jener nahm einen Brief aus der Tasche seines Hemdes. Ein Brief! Es war eine dicke Papierrolle. Des Briefes Inhalt war kurz: „Kauf für tausend Rupien Stahl und sende ihn via Baldeo Mistri. Zweihundert Rupien netto in bar liegen diesem Brief bei als Anzahlung. Der Rest wird bei Lieferung übergeben. Danach kam die Liste der Stähle, die er mit Mühe entzifferte, all das wurde gesagt. Gott sei Lob und Dank kam das Ende des Briefes. Nun hub jener Mann an: „Gut, wer schreibt mir nun die Antwort? Schreiben Sie bitte, es ist ein sehr wichtiger Brief.“ Er begann zu betteln. Jener Mann: „Kommen Sie ein Stück mit mir, da ist Baldeo Mistris Werkstatt.“ ‘Abid: „Mein Haus ist weit von hier. Es wird mir zu spät. Lass jemand anderes schreiben.“ Jener Mann: „Es wird nicht spät werden und sollte es spät werden, so gibt’s noch die Ikka des Hauses. Ich werde Sie damit nach Hause fahren lassen.“ ‘Abid (im Herzen): Was ist das Problem? Gehen wir, laufen mag ich sowieso nicht mehr. Mit der Ikka bin ich schnell zu Hause. „Gut, also lauf.“
Mit diesem Mann zusammen erreichte er Baldeo Mistris Werkstatt. Er sah, es war ein grosser ummauerter Hof. Ringsum waren Vordächer angeschlagen. Dazwischen wohin Du blickst Eisenstapel. Auf einer Seite liegt eine Haufen Kohle.
Unter den Vordächern waren hier und dort Essen eingebaut. Ein Blasbalg geht. Das rotglühende Eisen wird herausgenommen. Schmiedehämmer schlagen. Unter einem Vordach ist eine Liege aufgestellt. Daneben stehen zwei‑drei rohe Holzkisten herum. Auf einer davon sitzt ein älterer Mann, aber sehr robust, mit Brille. Seine Haltung liess erkennen, dass er Baldeo Mistri ist. Der Mann, der ihn geholt hatte, liess ihn sich auf eine Kiste setzen. Er sagte, „liess noch mal ein bisschen dem lieben Mistri den Brief vor. Er las den Brief vor. Nun wurden, die Antwort zu schreiben, Feder und Tintenfass nötig. Baldeo Mistri sagte: „Verlang es von Bhaya.“ Jener Mann rief „Madhu Bhaya, Madhu Bhaya, Baldeos Sohn!. Ein vierzehn-fünfzehn Jahre alter Bub sass gegenüber unter dem Vordach auf einem Stuhl. Vor ihn war ein kleines Tischchen hingestellt worden. Darauf lagen Bücher, eine Lampe schien. Jenes Mannes Stimme vernehmend, gab er Antworte „Was ist Onkel?“ Jener Mann: Komm bring Deinen Kiel und Dein Dintempfass her. Bring auch eim bisschem Babbier her.
Bhaya Madhu brachte Feder, Tinte, Papier. Mirza ‘Abid Husain begann die Antwort zu schreiben. Jener liess sich nahebei nieder.
Über der Antwort wurde es spät, weil für jede Stahlsorte Gewicht und Preis inklusive Marktpreis zu schreiben war. Mirza Sahib war fast von Sinnen. Bhaya half ihm rechnen. Unterdessen wurde über dieses und jenes gesprochen, denn jenen Leuten war nicht bekannt, in welchem Unglück sich die Armen befanden, sonst hätten sie sich vielleicht beeilt. Dieser unerfahrene Städter war gefangen. Gewöhnliche Dinge wie, „wo ist Eurer Haus?“, „wieso kamen Sie hierher?“, es war ihnen ein Bedürfnis zu fragen. Von allen war Madhu Bhaya am Neugierigsten, denn Madhu Bhaya lernte Englisch und Mirza ‘Abid Husains Art zu Reden liess erkennen, dass auch jener Englisch verstand. Vielleicht wurde im Verlauf des Gespräches auch gefragt, „wie weit haben Sie Englisch studiert und haben Sie nicht selbst gesagt, ‘ich habe die Zulassungsprüfung bestanden“’ Madhu Bhaya war nun zwei Stufen unter der mittleren Klasse. Dann war auch Mirza ‘Abid Husains Persischer Brief sehr sauber und Madhu Bhaya hatte gerade heute seiner üblen Schrift wegen in der Klasse eine Zwei eingefangen. Aus diesen Gründen betrachtete ihn Madhu Bhaya voller Respekt.
„Zulassungsprüfung“, dieses Wort hörend, schreckte auch Baldeo Mistri auf, denn seit er Madhu Bhaya zum Lernen zur Schule geschickt hatte, hatte er so oft die beiden Worte „Mittlere“ und „Zulassung“ gehört, dass nun unmöglich war, sie zu vergessen. Lange hatte er die „Mittlere“ als höchsten Bildungsgrad begriffen, aber seit in der Eisenbahnverwaltung Prashadi Babu für zehn Rupien monatlich angestellt worden war, hatte die „Mittlere“ in seinen Augen an Bedeutung verloren, aber irgendwo hatte er gehört, dass der grosse Babu. der im Lokobüro arbeitet, die „Zulassungsprüfung“ bestanden habe. Master Janaki Prashad, der Madhu zuhause Englisch gelehrt hatte, war Advokat geworden. Nun hören Sie mal, geht’s dem schlecht? Schreiner Ganpats Bub, der kleine Lal, hat die Zulassungsprüfung bestanden und ist nach Rourkey gegangen. Jetzt ist er Aufseher. Mit all diesen Überlegungen gewann die „Zulassung“ in seinem Herzen recht viel Bedeutung. Alle Hoffnung richteten sich auf Madhus Bestehen der „Zulassung“. Der Grad der Zulassung schien ihm so begehrenswert, dass er die schwierige Lage Mirza ‘Abid Husain durch seine Brille nicht wahrnahm. Sobald er gesehen hatte und gehört hatte, dass jener die Zulassung besitze, hatte er sich im Herzen gesagt, „der Allmächtige möge den Tag werden lassen, wo Madhu Bhaya ebenfalls die Zulassungsprüfung ablege. Aber jetzt ist dieser Tag noch fern. Vier fünf Jahre sind noch übrig. Im Haus ist keiner der Lehrer sein könnte. Im Herzen trug er diese Gedanken als er Mirza ‘Abid Husain fragte: Baldeo: Wo ist Euer Schatzhaus? ‘Abid Husain: Beim Markt. Baldeo: Oh ho! Sie wohnen weit weg.
‘Abid Husain, der dieser Frage Richtung wegen ihre Bedeutung selbst etwas ausloten wollte,): Warum? Baldeo: Nichts.—Wäre ihr Haus in der Nähe gewesen, so hätte Madhu Bhaya jeweils eine oder zwei Stunden bei Euch nehmen können. ‘Abid Husain: Und wenn das Haus fern ist, was tut’s. Ich komme oft hier her. Baldeo: Warum? ‘Abid Husain: Einfach so, auf der Stellensuche. Baldeo: Gut, dann würden Sie also Madhu unterrichten? ‘Abid Husain: Mit grossem Vergnügen. Baldeo: Ich werde Ihnen geben, was ich Master Janaki Prashadi gegeben habe.
‘Abid Husain: Was habt Ihr ihm gegeben?
Baldeo: Fünf Rupien monatlich.
‘Abid Husain: Sehr gut. Ich werde Madhu Unterricht geben.
Madhu: Also von wann an wird er kommen?
‘Abid Husain: Sobald Ihr sagt.
Madhu: In acht Tagen ist die Prüfung, wenn er von morgen an kommt, wäre es umso besser. ‘Abid Husain: Ich komme gleich von morgen an. Um welche Zeit soll ich kommen? Madhu: Morgens oder abends, das sind die beiden Zeiten. ‘Abid Husain: Gut, dann komme ich morgens jeweils um sieben Uhr.
Der Brief war zu Ende, das war unterdessen klargeworden. Nun gab es keinen Grund dortzubleiben. Jenem Mann, der ‘Abid Husain gebracht hatte, bat Baldeo um die Ikka. Es ergab sich, dass der Ikkamann mit jemandem irgendwohin gefahren war. Deswegen drückte jener Mann ‘Abid Husain ein Vierannastück in die Hand. Erst wollte dieser es nicht annehmen im Gedanken, „vor Baldeos Augen lasse ich mich nicht beschämen,“ aber Baldeo selbst sagte, „lieber Herr, nehmen Sie an, mieten Sie eine Ikka ab Husainganj. Es ist schon spät und auch haben Sie versprochen, morgen früh zu kommen. So kommen Sie schnell nachhause.“ Mirza ‘Abid Husain nahm das Vierannastück, steckte es in die Tasche und verliess den Werkhof. ‘Abid Husain war sehr niedergeschlagen. Dass ihm soviel Unterstützung zuteil wurde, liess ihn wieder aufleben. Nun machte er sich so schnell als möglich nach Hause auf.
Unterwegs sah er viele Ikkas, aber ob des Zustandes, in dem er Frau und Kinder daheim verlassen hatte, dachte er: „Wenn ich jetzt eine Ikka nehme, so werden überflüssigerweise zwei Annas ausgegeben. Vier Annas sind zwei Mahlzeiten. Nimm dich zusammen und halte noch ein Bisschen durch. Du kommst auch zu Fuss an.“ Schliesslich langte er so gut es ging zuhause an.
Zehn Uhr nachts waren geschlagen worden. An der Haustüre rasselte er mit der Kette. Die Frau stand auf und öffnete die Türe. Er sah, dass im Haus eine Lampe brannte. Ihn verwunderte, woher 51 kam, und mehr noch staunte er, als die Frau, kaum hatte er sich gesetzt, das Speisetuch brachte und ausbreitete. Sie holte das Essen heraus und setzte es ihm vor. Gab ihm Wasser, die Hände zu waschen. Wusch sich selbst die Hände. Setzte sich zum Essen nieder. ‘Abid: „Oh, wo kommt das Alles her?“ Frau: „Jene Mütze verkaufte sich heute, nicht?“ ‘Abid: „Du hast ein Wunder vollbracht, die Mütze vollendet und gleich auch verkaufen lassen.“ Frau: „Was hätte ich anderes tun sollen?“ ‘Abid: „Du hast ein grosses Werk getan. Haben die Kinder gegessen?“
Frau: „Die Kinder haben dank Gottes Gnade schon zweimal gegessen. Nun schlafen sie. ‘Abid: „Und Du hast nichts gegessen?“ Frau: „Was fängst Du Dich jetzt um mich zu sorgen an. Nimm, iss. ‘Abid: „Ach, als wüsste ich nicht, wie Du dagesessen bist. Welch eine üble Sitte.“ Frau: „Und wo bist Du so lange geblieben? Sonst bist Du doch immer früher gekommen? ‘Abid Husain erzählte en détail seine gesamten Erlebnisse vom Anfang bis zum guten Ende. Die Frau hörte ihm zu und rief begeistert aus, „Fantastisch, fantastisch“’ denn Mirza ‘Abid Husains Frau war nicht eine jener Frauen, die ob man es hören will oder nicht, sich ständig über ihren Ehemann beklagen. Das Mitgefühl, das sie ihm entgegenbrachte, und den Trost, den sie ihm bei dieser Gelegenheit spendete, sind tausendfachen Lobes würdig.
Frau: „Gott hat sich meiner Kinder erbarmt.“
‘Abid: „Ja, es geht uns etwas besser, aber was sind fünf Rupien?“ Frau: „Danke Gott, dass wir zumindest zu Essen haben. Fünf Rupien sind viel. Wenn Gott will, so werden wir keinen Hunger leiden. Meine Mützen beginnen jetzt auch etwas einzubringen. Wenn im Monat vier Mützen fertig werden, so sind es zuletzt vier Rupien. Verlier nicht den Mut!“ ‘Abid: „Ich habe den Mut nicht verloren.“ Beide, Mann und Frau assen, dankten Gott, beteten und legten sich schlafen. Am nächsten Tag kam Mirza ‘Abid Husain morgens Schlag sieben Uhr auf Baldeo Mistris Werkhof an. Madhu war ein sehr lernbegieriger Junge. Seit morgens sechs Uhr sass er über den Büchern und lernte. ‘Abid Husain lehrte zuerst die Lektion aus dem Englischbuch. Jedes schwierige Wort liess er sich buchstabieren und fragte nach der Bedeutung. Dann liess er nach Diktat schreiben. Dabei kam nur ein Fehler heraus, den er korrigierte. Danach kam die Grammatiklektion. Dann kam Urdu an die Reihe. Madhu war sehr schwach in Urdu. Er sprach die Wörter nicht richtig aus. Selbst Schin und Qaf beherrschte er nicht, was ‘Abid Husain viel zu tun gab. Dann begann das Rechnen. Die Aufgaben, die Madhu gestern in der Schule aufgetragen worden waren, hatte er letzte Nacht schon gelöst. ‘Abid Husain testete gründlich die Grundlagen und wo er Schwächen fand, verbesserte er. Weder waren Madhus englische und persische Schrift korrekt, noch verschwendete er zuviel Aufmerksamkeit in diese Richtung, aber ‘Abid Husain liess diesen Tag zwei Hefte binden, und begann, ihn vor sich schreiben zu lassen. Diejenigen, die vordem Madhu unterrichtet hatten, pflegten, viel Zeit mit Gerede zu verbringen. Madhu hatte diese Gewohnheit angenommen, aber ‘Abid Husain kannte das Schwätzen nicht. Von Kindesbeinen an war er gewohnt, hart zu arbeiten. Mutter und Vater hatten ihm nicht erlaubt, in solcher Gesellschaft zu sitzen, die Sinn für feinen Witz in seinem Geiste hätten Eingang finden lassen, die ihm hätten scheinen lassen, dass leeres Geschwätz zu den Grundnotwendigkeiten des geistigen Lebens gehört...
Mirza Hadi Ruswa schrieb den heute noch berühmten Roman "Umrao Jan Ada", deutsch "Die Kurtisane von Lucknow". Ruswa kämpfte für Frauenrechte, aber den "progressiven" indischen Schriftstellern nach 1945 behagte Ruswa nicht: Ein konservativer Dichter, der sich für Frauen einsetzt; eine Geschichte über eine Frau, die sich über Vorurteile hinwegsetzt... "Umrao Jan Ada" wurde auf englisch, deutsch, italienisch und spanisch übersetzt, mehrmals verfilmt, immer mit Focus auf die kitzelnde "story" einer Prostituierten aus Alt-Lucknow. Wie gut Ruswa schrieb wurde nicht wahrgenommen. An einer Sitzung der Progressive Writers Association in Lucknow erlebte ich selbst, wie blind "progressive" Schriftsteller*innen in ihrer "engagierten" Borniertheit für Ruswas schriftstellerische Kunst sind.