Mountain Bike Boy

Mountain Bike

Patrick war einer dieser jungen Studenten durchschnittlicher Intelligenz, die von ihren Eltern mehr Taschengeld als Liebe erhalten, die einen hübschen Körper und eine völlige Abwesenheit moralischer Normen mit einem verzehrenden Wunsch nach Abenteuer kombinieren. Patrick sah gut aus und wollte jetzt leben, seine Eltern liessen es ihm an nichts mangeln, doch er wollte gekauft werden. Nur noch vibrierend vom Orgasmus mit einem Kaschmirpullover auf nackter Haut von der Terrasse des besten Hotels über den See blickend, schien ihm das Leben einen Hauch von Substanz zu haben.

Ich liebte ihn nicht und war zufrieden, ihn nicht zu lieben. So wie er war, hübsch, beflissen zu gefallen, intelligent genug, mir nicht zu widersprechen, ohne die mühsamen schlechten Gewohnheiten armer Strichjungen, passte er in mein Leben. Er meinte, er sei teuer, doch war er billig und praktisch. Er begnügte sich mit ein paar hundert Franken pro Woche und den Kleidern, die er trug, und vielleicht mal einer Uhr, weniger als ums Geld ging es ihm darum, auszubrechen aus der sicheren Langeweile seiner Herkunft.

Wir waren befreundet, ich war grosszügig, er brauchte mich nicht zu verstecken und ich ihn nicht, ich traf einige seiner Mitstudenten, kannte seine Familienverhältnisse, er wohnte anfangs noch bei seinen Eltern. Ich wusste dass er einen jüngeren Bruder namens Philip hatte, ein autistisches Sorgenkind, das am Ende der obligatorischen Schulpflicht die Schule verlassen hatte, und seither in ihrer Garage Mountain Bikes flickte.

Für Patricks Eltern und ihn schien Philip ein Problem, der Sinn des Lebens war aufzusteigen, entsetzt berichtete Patrick mir von Philips Anfällen von wortwörtlich christlicher Grosszügigkeit, dass er Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke, Ralph Lauren und Toni Hilfiger, mit dem Wunsch gegeben, dass auch er nach etwas aussehen möge, am nächsten Tag auf der Strasse weiterverschenkte.

Mich interessierte dieses verwöhnte Nesthäkchen nicht, in meiner Verwandtschaft verfügte ich über genügend Beispiele dafür, dass wenn das Materielle sicher ist, Menschen sich leisten, anders zu sein.

Da mir ein Haus am See zu teuer war, kaufte ich Anfang Sommer ein Motorboot, um auf Deck Patricks Schönheit und unter Deck seinen Körper geniessen zu können. Ich erlaubte ihm auch, Freunde mitzubringen, wohl wissend, dass dies mein Vergnügen beschränkte; ich genoss Sommertage Im Schatten blühender junger Männer.

An einem Tag, der so gedacht war, hielt ich mit dem Wagen vor Patricks Haus, ihm zu ermöglichen, seine Badehose zu holen. Ich fuhr einen offenen Ferrari, und hatte keine Lust, lange in dem auffälligen Auto vor dem Hause zu sitzen, so stieg ich zusammen mit Patrick aus, er sagte, "komm, ich stelle dir meinen Bruder vor!" und führte mich zu den Garagen des Mehrfamilienhauses, von denen eine offenstand, Werkzeuge und Veloteile davor.

Nur mit einer Velorennfahrerhose bekleidet kniete da einer hinter einem Mountain Bike, schwarzes Schmieröl an den Händen und im Gesicht. Patrick stellte uns vor, Philip blickte kaum auf, sagte undeutlich "aha" und schraubte weiter.

Patrick sagte, "ich komme gleich!" und verliess uns, doch ich hörte ihn kaum, denn meine Augen wollten sich nicht stören lassen, so hatten sie sich festgefressen an dem, der mich bereits vergessen hatte. Sein Körper hatte die gleiche makellose Schönheit, die Patrick so begehrenswert machte, doch jünger, athletischer, schlanker, muskulöser. Er hatte eines jener von allen Spuren von Eitelkeit und Denken gereinigten Sportlergesichter, Lippen als hätte jemand mit dem Messer in pralles Fleisch geschnitten, tierisch sinnlich, dazwischen die Spitze seiner Zunge, welche die Bewegungen seiner Hände vorwegnahm.

Ich fühlte mich, als hätte ich auf einer Auktionsausstellung ein Kunstwerk entdeckt, das ich besitzen musste, doch dessen Besitz sich nicht erzwingen liesse, unbändige Gier gemischt mit der Furcht aus Gier zu verlieren, was ich begehrte. Ich musste ihn haben. Ich sagte, "kommst du mit auf den See?" Er schüttelte den Kopf ohne aufzusehen.

Seine Konzentration auf die Arbeit erlaubte mir, ihn wie ein Kunstwerk anzuschauen, Kopf, Schultern, Arme, Brustkasten, die enganliegenden Shorts betonten mehr als sie verbargen, seine Schenkel. Ich ging um ihn herum, starrte ihn schamlos an, erwartend, dass er zensierend aufblicken würde, doch vielleicht war er wirklich autistisch, ich schien ihn nicht zu stören, sein flacher gut bemuskelter Rücken war so schmerzhaft schön, wie eine jener Plastiken von Rodin, bei denen man zwar ahnt, aber es nicht kontrollieren kann, dass ihre Sinnlichkeit unser Urteil koloriert.

Ich wiederholte, "komm doch mit uns auf den See!" hoffend, ihn auf Deck nass und liegend zu sehen, wie er sich an Bord zog, beim Springen, doch er antwortete nicht, auch nicht, als meine Hand, mit einer Bewegung, die ich weder vorhatte, noch ausführen wollte, meinem Charakter und Verhalten in nichts entspricht, seinen Kopf berührte und ihm über die kurzgeschnittenen Haare strich. Ich beobachtete meine Hand, eine unbestimmte Katastrophe befürchtend, dass Philip mich beschimpfte, und Patrick uns überraschte, doch Philip drehte seinen Kopf in meine Hand und blickte mich lächelnd an, ohne Erstaunen, aber auch ohne jede Spur schwuler Komplizenschaft oder Begierde.

Ich liess ab, um das Glück nicht zu herauszufordern, dann kam Patrick, wir verbrachten den Nachmittag auf dem See, den Abend mit gutem Essen, einem Film und danach suchten meine Augen, Lippen und Finger in Patricks Körper Spuren der Schönheit seine Bruders; es war leicht in Patrick Philip zu lieben, sie waren sich ähnlich genug, doch Patrick war nicht Philip, seine Lippen hatten nicht Philips fleischige Sinnlichkeit, seine Brustwarzen nicht jenes Zusammenfliessen von Sommerbräune über jungen Muskeln in einen Kreis kaum dunklerer Erregung. Ich hatte mich verliebt.

Die nächsten Nächte verbrachte ich mit Patrick. Nur wenn ich ihn umarmen konnte, war die Verliebtheit in Philip erträglich, doch Patricks Nacken erinnerte nur mich an jenen anderen Nacken, den ich begehrte. Patricks Rücken, seine Arme, seine Haut befriedigten mich nicht, sondern steigerten meinen Wunsch, Philips Körper zu besitzen.

Meine Mutter lehrte mich erstens, dass Stil alles ist; meine Homosexualität beunruhigte sie wenig, sie fürchtete nur, dass ich, weil ich schwul war, irgendwelche Kompromisse eingehen würde, mich mit dem Zweitbesten zufrieden geben könnte. Manieren und Stil waren alles. Dass Adolf Hitler ein schlechter Maler, dass ein Kardinal vorzog, auf ihrer Terrasse Champagner zu trinken, statt in gläubigerem Haus die Geräte aus jenem Fisch zu sezieren, den die Religion vorschrieb, bewies ihr, dass sie recht hatte. Und zweitens, dass die einzigen Sünden, die wir wirklich bereuen, die sind, die wir nicht begangen haben.

Ich legte deshalb in meinem Büro die Füsse auf den Tisch und fragte mich, wie ich Philip bekommen könnte. Dass er meine Sympathie erwidern würde, lohnte sich nicht zu hoffen, ich wusste von Patrick, dass er sich ausser für Mountain Bikes für niemanden und nichts interessierte. Patricks Geheimnis war, dass er sich prostituieren wollte, sich gerne hingab, dankbar, dass das Schlechte, was er brauchte um die Langeweile des mittelmässigen Guten zu brechen, so angenehm war. Schwule junge Männern interessierten ihn kaum, er schien auf dem Boot mehr zu geniessen, dass sie ihn beneideten, als dass er sie begehrte. Wenn sich zwischen zwei oder drei etwas zu entwickeln begann, woran er teilnehmen könnte, und ich ihn ermutigte, verfiel er in eine laszive Trance, bereit berührt zu werden, zu träge zu berühren.

Patrick liebte befriedigt und beschenkt zu werden, doch motivierten ihn weder künftige Befriedigung noch kommende Geschenke. Er wollte sich an meiner Seite treiben lassen, gleichgültig wohin, solange es weg war von der Enge seines mittelständischen Elternhauses, der sicheren Berechenbarkeit des "programmierten Lebens". Patrick liess sich nicht belohnen, auf Versprechungen reagierte er mit ärgerlicher Ablehnung, er wollte beschenkt werden, und gab sich dafür hin.

Philip direkt anzusprechen schien hoffnungslos, vermutlich würde er mich gar nicht hören, oder es würde den Eltern zu Ohren kommen; ich dachte daran, einen jungen Rechtsanwalt einzuschalten, jeder geht durch eine Phase, wo er noch glaubt, alles tun zu müssen, um sich einen Kundenstamm aufzubauen, wo noch das Abenteuer lockt, doch die Chance war gross, dass er es ungeschickter anstellen würde als ich selbst, oder sich überhaupt nur eine Menge guter Gründe ausdenken würde, wieso ich Philip vergessen sollte, als brauchte ich solchen Rat.

Nach zehn Tagen organisierte ich, dass ich zufällig Philip noch einmal sehen konnte, um mich zu vergewissern, ob ich nicht einem Phantom nachjagte, nein, er war so schön, geil, sinnlich, verführerisch, wie ich ihn in Erinnerung hatte, und schraubte an einem Mountain Bike herum, das er, gemäss Patrick, für einen der besten Mountain Bikefahrer der Schweiz aus amerikanischen und japanischen Teilen nach Mass und Wunsch zusammenstellte. Ich sagte sofort, "dann kann er mir ja auch eines bauen, und dir auch!"

"Kein Problem!"

Philip konnte der Versuchung nicht widerstehen, carte blanche für zwei Mountain Bikes zu haben, er beriet und entschied zu gleich, interessiert das Beste zusammenzustellen und zugleich spöttisch, Chrommoly und Carbon zu verschwenden für Leute, die auch ein Warenhausrad nie ausreizen könnten. Ich freute mich auf das Mountain Bike wie auf ein Kunstwerk, entschlossen, es in meinem Schlafzimmer an die Wand zu lehnen, um die Schönheit dessen zu beschwören, der es gebaut hatte.

Jetzt, wo er mit uns sprach, wenn auch nur über Bremsen und Sättel, kam er mir noch begehrenswerter vor, er hatte die Direktheit, die uns an Mogoloiden je nach Situation rührt oder peinlich ist. Er setzte mich auf eines seiner Räder, korrigierte meine Position, meinen Körper professionell und hemmungslos anfassend, mit glücklichem Lachen und strahlenden Augen, doch ohne Zweideutigkeit, als könnte er sich nicht vorstellen, dass es Schwule gab. Er berührte mich, wie man einen Hund berührt, glücklich zu berühren.

Nach ein paar Wochen waren die Mountain Bikes fertig, ich freute mich, Patrick die gleichen engenanliegenden Shorts zu kaufen, die Philip trug, und sie ihm auszuziehen, mir vorstellend, Philip auszuziehen; mein Mountain Bike stand zuerst in meinem Schlafzimmer, dann nahm ich es in Büro, wo es, elegant wie der Mahagonipropeller in Blow-Up mir vor Augen hielt, was ich wollte.

Mehrmals hatte ich Philip eingeladen, auf den See, zum Essen, immer erfolglos, ebenso erfolglos hatte ich Patrick aufgefordert, Philip mitzubringen, Patrick schien nicht zu stören, dass ich mich für Philip interessierte, doch hörte ich aus seinem, "ich habe ihn schon gefragt," dass er nicht hoffte, Philip aus ihrer Garage locken zu können.

Es war hoffnungslos. Auf dem Boot, und in einer Stunde, wo meine Finger auf seinem nackten Körper die Figuren meiner Begierde zeichneten, gestand ich Patrick unverschämt, dass Philip mir gefiele.

"Dann geh doch mit ihm Mountain Bike fahren! Sonst interessiert ihn nichts."

Ich ging mit Philip Mountain Bike fahren. Die steilsten Berge, die schmutzigsten Wege, ich kaufte einen GMC Explorer, ich brauchte nur vor die Garage zu fahren und zu sagen, "kommst du mit, ich habe da im Jura eine Strecke entdeckt..." Ich fühlte mich, als wäre ich zehn Jahre alt, und klingle an Nachbars Türe, "kommst du spielen?"

Bald übernachteten wir im Zelt, er liess sich in den Armen halten, aber nicht küssen, nicht umarmen.

Patrick kam mit oder nicht mit, solange er im Luxus in meiner Wohnung leben konnte, war er zufrieden. In schönen Kleidern zu träumen, war ihm lieber, als geliebt zu werden, oder gar lieben zu müssen.

Zusammen sahen wir am Fernsehen Bilder von Ruanda und Burundi gesehen. Patrick und ich vergassen sie. Ist es nicht zu unserem eigenen Schutze, dass wir uns angewöhnen, zu vergessen, was wir nicht ändern können, oder nicht ändern zu können glauben. Doch Philip liessen die Bilder nicht los. Wenn er sprach, sprach er nur davon, wie er vorher nur von Mountain Bikes gesprochen hatte. Ich mimte Verständnis, gab ihm Geld für Spenden. Ich wusste, dass er mich nie lieben würde, dass ich meine Zeit verschwendete, falls ich mehr erhoffte als sein Nähe.

Auf der Rückfahrt von einer eigentlich katastrophal verlaufenen Mountain Bike-Tour, Regen, Dreck, Stürze, böse Schürfungen, doch Philip bedeuteten Verletzungen nichts, und mir nichts, wenn er bei mir war. Nachts spürte ich die Müdigkeit der sportlichen Anstrengung. Es regnete so heftig, dass ich mir überlegte, irgendwo in ein einigermassen anständiges Hotel zu fahren. Ich fahre nicht gern nachts im Regen, auch wenn es nur zwei Stunden sind. Philip sprach wieder über Ruanda, die Kinder, dass man ein Flugzeug chartern müsste um die Kinder in die Schweiz zu fliegen. Er hatte recht, doch weiss ich, dass diese Dinge immer im Morast der Realität versinken, aus hundertausend Franken gehen zwanzigtausend für Werbung für weiteres Geld drauf, zehntausend für Business Class Tickets, sechzigtausend für einen klimatisierten Land Rover, bleiben zehntausend für hungernde Kinder, wovon die Hälfte geklaut wird, der Rest ist für die, welche noch am Besten dran sind.

Philip wollte das ganz andere, das verrückte, hinfliegen, das Flugzeug mit verhungernden Kindern volladen, zurück, irgendwo landen, auf einem Militärflugplatz, die Sanität anrufen, "da sind dreihundert Kinder am verhungern, kommt sofort!" Er hatte die Radikalität des absolut Guten, das keinen Einwand duldet.

Er phantasierte, als ob er von mir Widerrede erwartete, bis ich trotz des Charmes seiner immer noch leicht gebrochenen Stimme und von den blendenden Scheinwerfern im Rückspiegel gereizt, plötzlich die Geduld verlor und sagte, "warum machst du es nicht selbst?"

"Wenn ich das Geld hätte, würde ich es sofort machen!"

Des Themas müde sagte ich, "und was würdest du tun, um an das Geld heranzukommen?"

"Alles!"

"Zum Beispiel?" Plötzlich sah ich eine Perspektive, in Olten suchte ich das beste Haus am Platz und checkte uns ein. Bevor ich das Licht löschte sagte ich zu Philip, "du weisst, dass ich schwul bin, wenn du machst, was ich will, helfe ich dir, das Geld zu organisieren."

"Ok!"

Nachts schlug er die Leintücher zurück, stieg aus seinem Bett und in mein Bett.

Patrick liebend hatte ich Philip geliebt, doch nun, als Philip vor mir lag, zeigte sich, dass er nicht Patrick war, passiver, weil er sich nicht verpflichtet fühlte, Liebe zu heucheln, und orgiastischer, fähig, sich seinem Körper ganz zu ergeben, es war eine Freude, ihn zu lieben, seinen zitternden Körper in den Armen zu halten, völlig auf sich bezogen genoss er, ob es ein Mensch war oder ein Mountain Bike, das ihn befriedigte, war bedeutungslos. Ich existierte nicht.

Die Nacht gehörte er mir, am Morgen forderte er seinen Lohn, Ruanda. Was ihm unvollbringbar geschienen hatte, war zwar mehr als ein paar Telefonanrufe, diejenigen, die vom Helfen leben, schätzen nicht, wen ohne sie geholfen wird, doch dann flog eine alte Gulfstream der Zymex mit Philip an Bord hin- und zurück, die Kinder waren in Trogen, die Mountain Bikes existierten nicht mehr, er war der Motor der Aktion, Helfer gesellten sich zu ihm, Geld kam zusammen, er war nur der Urwille, andere, geeignetere organisierten. Und immer wieder rief er mich an, "willst du dass ich zu dir komme?" und wenn ich "ja" sagte, kam er, und gab sich mir ohne Zurückhaltung hin.

Patrick verhielt sich, als hätte er mir Philip gebracht, als müsste Philip ihm zugerechnet werden. Patrick lebte in meiner Wohnung. Wenn er fühlte, dass es mir schmeicheln würde, wenn er vor Dritten meinen Freund mimte, so war er mein Freund; schien ihm, dass er im Weg war, so verschwand er in seinem Zimmer. Eifersucht schien er nicht zu kennen, mehr als ein gepflegter Mätress wollte er nicht sein.

Bald wohnten beide bei mir. Patrick mit den Büchern und Papieren für seine Prüfungen. Er hasste, beim Lernen beobachtet zu werden, und wollte doch gute Noten, wie Zürichbergdamen, die nie dabei gesehen werden wollen, und doch manisch haushalten, studierte er gewissenhaft, es liess sich nicht vermeiden, Vorlesungen zu besuchen, Bücher zu lesen, Arbeiten zu schreiben, doch versteckte er Bücher und Hefte in seinem Kleiderschrank, besuchte die Vorlesungen als wäre er zufällig, aus einer Laune heraus, in die Universität geraten, und wich jeder Unterhaltung über Studententhemen aus. War er sechs Stunden in der Uni gewesen, und hatte dann noch etwas Tennis gespielt, wollte er nur über Tennis sprechen, die Professoren und Kommilitonen waren ihm so zuwider, dass er nicht einmal abfällig über sie sprechen mochte.

Patrick hatte nur Ruanda im Kopf, er war zum Motor und Maskottchen einer Organisation wie viele andere geworden und ahnte es, einer jener unanzweifelbaren Exponenten des Guten, welche die Briefköpfe der NGO zieren, und am Liebsten in besonderer, wichtiger, Mission fern des HQ gesehen werden, wo sie mit ihrer unanzweifelbaren, doch amateurhaften Güte nur die Kreise der gut-entlöhnten Gutmenschen stören.

Ohne, dass wir das diskutiert hätten, fühlte er sich verpflichtet, bei mir zu sein, er schien sich als mein Besitz zu betrachten und bat mich für jede Abwesenheit um Erlaubnis, welchen Vers sich seine NGO-Leute darauf machten, dass Patrick und er bei mir wohnten, kümmerte ihn nicht.

Ich hatte nie erwartet, dass Philip mich lieben würde. Ich hatte ihn wie ein Kunstwerk erworben, eine Steigerung von Patrick, schöne junge Männer um mich zu haben, gefiel mir, sich geliebt zu glauben, war so unsinnig, wie die lächerliche Vorstellung gewisser Hotelgäste, dass das Personal nicht für Trinkgeld lächelt, sondern aus Freundschaft.

Ich erwartete nicht, dass Philip mich liebte, und doch brachte dass er mich nicht liebte, mich zur Verzweiflung. Genau das Beste an ihm, nämlich die Natürlichkeit, mit der er mir seinen wunderbaren Körper zu Verfügung stellte, begann mich zu quälen. Patrick genoss, etwas wie ein Strichjunge zu sein, er wollte immer wieder den Kitzel der materiellen Unterwerfung spüren, eine Hure zu sein, rettete ihn davor, Durchschnitt zu sein.

Philip hingegen war mein Freund; fragte ihn jemand, so erklärte er, dass er mein Freund sei, weil ich ihm das Geld gegeben hätte, um jenes erste Flugzeug zu chartern, seine sichtbare Integrität machte es unmöglich sich vorzustellen, dass er sich prostituierte; Patrick war bei mir, weil ich ihm Geld gab, Philip aus Dankbarkeit dafür, dass ich ihm Geld gegeben hatte.

Patrick fragte mich, ob er für einige Zeit nach Ruanda gehen dürfte, zu helfen, wo er glaubte, am meisten gebraucht zu werden; ich erlaubte. Jedes Kunstwerk, wird mit der Zeit zu Teil der inneren Person des Besitzers, seine äussere Existenz verliert ihre Bedeutung. Es entsteht ein inneres Abbild, die Idee "Philip" schien mir zu genügen.

Schien mir. Mit Patrick allein zu sein, abends, unbeobachtet vom jüngeren Bruder eine billigere Sorte von Liebe zu geniessen, zu dritt, zu viert, zu fünft, ergötzte mich einige Wochen lang, bis ein Zufall, eine kleine Änderung der Möblierung meines Büros, mitsichbrachte, dass das Mountain Bike um bestenfalls einen halben Meter verschoben wurde, was die Gewohnheit unsichtbar gemacht hatte, wurde wieder sichtbar, das Mountain Bike war Philip, ich brauchte ihn.

Wie wenn im Herbst mich plötzlich das Verlangen nach dem Ginstergeruch der Toskana, oder nach einer Pizza aus einem Forno in der Altstadt Roms packt, freute ich mich, das ein Wunsch meinem Leben ein Ziel gab. Die Erstklasssitze und –hotels waren ausgebucht von denen, deren Lebenssinn ist, Menschen in Not zu helfen, doch ich rangelte mich wacker, meinem Vergnügen musste ihr Komfort hintanstehen.

Afrika übt auf mich die gleiche Faszination aus wie eine Einladung in ein "primitives" Jagdhaus oder eine Stammburg, deren Besitzer glauben, ihr Name ersetze Warmwasser und Zentralheizung. Doch was ich antraf, und ich traf nicht zum Höhepunkt der Tragödie ein, löschte in mir die Freude, Philip zu sehen, aus; ohne Not hatte ich mich auf eine Realität eingelassen, die schlimmer war als der eigene Tod; nicht ein stummer tragischer Schmerz sondern das unvorstellbar schreckliche Leid, das die bösartige Bestie Mensch zustande bringt.

Philip kam ins Hotel, doch nicht mehr Lust suchte ich in seinem Körper, sonder war froh, an ihn geschmiegt die Greuel der Wirklichkeit wenn nicht zu vergessen, so wenigstens nicht allein ertragen zu müssen. Am Morgen fragte er mich, ob ich ihm helfen würde, heute, und ich ging mit ihm, ihm zu helfen. Ich will über seine Arbeit nicht schreiben, seines Autismus wegen stellte er sich der Herausforderung, Leiden zu mindern gerader als wir Normalen, er tat, was er glaubte tun zu müssen, es fehlte ihm die mildernde Gewöhnlichkeit.

Jede Handbewegung, die wir machten, schien ein Urteil, diesem zu helfen, jenem nicht, oder noch nicht, oder nicht rechtzeitig, meist Kindern, die uns mit Augen ansahen, die zugleich bald sterben oder endlich leben wollten.

Ich half ihm einen Tag, zwei, ein paar Tage, schlief neben ihm, versuchte mit grober Befriedigung uns beide die Bilder des Tage vergessen zu lassen, erfolglos, alles, was uns blieb, war die Nähe des Andern, und dann ein kurzer Schlaf, alptraumgeplagt, aus dem wir ungern aufwachten, weil der Tag noch böser war.

Zwei dreimal verschob ich den Rückflug, ihm beim helfen zu helfen, schien dringender, dann flog ich zurück, Termine, Aufgaben, Geschäfte schienen es zu erfordern.

Patrick holte mich ab, verwöhnte mich, das Geschäftliche erwies sich als Vorwand, fern der Not, Bilder, Musik, gutes Essen und einen jungen Körper zu geniessen, doch ich genoss nicht. Die Leichen überwucherten alles, was ich sah, die Schreie erstickten die Musik, das Fleisch im Teller erinnerte an die verbrannten Glieder am Strassenrand.

Mit Patrick konnte ich darüber nicht sprechen, wie ich selbst es immer gehalten hatte, half er, wenn er mit Not konfrontiert war, doch vermied er, mit Not konfrontiert zu werden. Ich verstand ihn und dachte wie er, doch die Leichen, die Schreie, die verkohlten Stümpfe wollten nicht verschwinden. Ich dachte daran, eine lange Reise zu unternehmen, in die Arktis oder Antarktis, nur keine Menschen sehen, Wasser, Eisberge, sauber gefiederte Pinguine, Wale. Eine bequeme Kabine, im internationalen Kreuzfahrtsschiffstil eingerichtet, wo ich abends Patrick als Seemann geniessen konnte.

Ich liess die Reise vorbereiten, mir vorstellend, dass tausende Seemeilen klaren, kalten schwarzen Meeres mich von Ruanda trennen würden, doch schliesslich stieg ich in ein anderes Flugzeug, flog über ein anderes Meer, den Massengräbern entgegen, in ein Flüchtlingslager, wo Philip anknüpfte an das "kannst du noch?", das er mir zum Abschied gesagt hatte, mit einem neuen "kannst du?"

"Ja, ich kann!"