Denali

Beta Moto

Der Sommer, als Denali sich verlobte

© 2025 Martin Frank

Volterra, Piazza XX Settembre

Es ist August und sobald der Wind stoppt, heiss. Weisse Turnschuhe stieben über den Platz; vampirsüchtige Teenager schiessen Selfies vor dem Denkmal für die Gefallenen des ersten, sichtbar korrigiert, aller Kriege: Ein sexy toter Engel aus weissem Marmor. Die Türen des Fiat Ducato Kastenwagens des Käsehändlers stehen offen; auf weissen Tablaren liegen runde pecorini. Ein alter grüner Panda, ein schwarzer Lancia Ypsilon und ein roter Alfa Romeo Mito stehen vor dem Parkverbotsschild des Museo della Tortura. Ein eifriger kleiner Hund zieht eine alte Frau über den Platz. Acht Däninnen, Schwedinnen und/oder Norwegerinnen studieren an zwei zusammengeschobenen Tischen vier in dunkelrotes Plastik gebundene Menus. Nadia steht daneben; halb geschäftstüchtige Wirtin, halb die amüsiert-irritierte Französisch-Lehrerin, die sie mal war.

Nadia hat den letzten Zweiertisch für mich reserviert, im Schatten. Das Menu, soweit es vegetarisch ist, kenne ich auswendig, aber ich esse nicht gern allein. Ich sitze hier, weil es mir guttut, unter die Leute zu kommen.

Rechts von mir eine deutsche Familie: ich stelle mir vor, die Mutter wünsche sich vergeblich, wenigstens in den Ferien nicht zu streiten; sie will durchhalten, bis die Kinder es verstehen. Der Vater möchte mit seinem neuen BMW X3 tausend Kilometer auf der Autobahn nach Süden rasen und am Morgen in einem billigen Hotel am Meer allein und glücklich aufwachen. Die Heirat war ein Fehler, die Kinder noch drei Fehler, das Haus ein Fehler, einzig Brad der Labrador, der unter dem Tisch hechelt, ist richtig. Die anorektische Tochter vergibt ihren Eltern die anderthalb Stunden nicht, die sie vor etruskischen Steinsärgen und abgenützten etruskischen Münzen in einem Scheissmuseum ohne WiFi aushalten musste. Mit siebzehn fühlt sie sich zu erwachsen für pizza, aber dasselbe wie ihre Eltern zu bestellen, ist ausgeschlossen, sowieso wird sie nachher kotzen. Die Zwillinge haben sich beim Einkaufen im Conad Wertkärtchen geschnappt, um sich Hausaufgaben-Lektionen runterzuladen [und sich im game WW II bessere Waffen zu kaufen] und knallen jetzt mit zynischem Grinsen auf ihren identischen Smartphones Nazis ab. Sie freuen sich darauf, nachts zusammen auf dem Hotelfernseher koreanische Horrorfilme und italienische Softpornos anzuschauen. Wie man die Alterskontrolle des Haschisch-Automaten an der Strassenecke überlistet, haben sie schon gelernt; dito wie man an Bier kommt. Sie schlafen im gleichen Bett; dass es ihre Mutter ärgert, ist das halbe Vergnügen. Wenn sie nicht exakt dieselbe Phitza mit Zwiebeln, Knoblauch und [halal] Salami kriegen wie beim Türken um die Ecke in Wuppertal, werden sie ihre Eltern zur Strafe zweiundsiebzig Stunden ignorieren. Nadia ist zuversichtlich; sie kennt den deutschen Geschmack. Die Mutter hasst Fisch, Muscheln und Krebse; der Vater findet Wildschwein und Trüffeln interessant. Die Mutter nimmt sich vor, später ihrem Mann vorzuschlagen, die Kinder in Zukunft am Strand zu lassen mit je fünfzig Euros für was auch immer. Sie schliesst sich den tagliatelle mit Wildschwein an, die ihr Mann bestellt und verspricht, eine pizza napoletana mit ihrer Tochter zu teilen, die mehr essen sollte.

Nadia bringt Wasser für Brad, "es ist heiss heute." Will ich pizza, will ich spaghetti, will ich caprese? Wie kann ich wenig essen, ohne unanständig zu sein? Nadia und ihr Mann sind Freunde. Ich vermisse meinen ältesten Enkel, der mit mir gereist ist, solange er zur Schule ging. Bin ich so senil, dass ich mich nur noch an die glücklichen Stunden mit meinen Söhnen erinnere? Vor zehn Jahren, mit fünfundsechzig, lebte ich noch. Wenn ich heute die Bilder von 2014 auf dem Computer anschaue… war ich das? waren das meine Freunde, meine Söhne, mein Enkel? Waren wir glücklich und merkten es nicht?

Zu meiner linken bestellt eine Frau in Englisch mit östlichem Akzent für sich und einen Mann, den das Museo della Tortura hungrig gemacht hat, beide dreissig, eine glutenfreie pizza to share. Er sagt, er vertrage geschmolzenen Käse nicht, aber sie will Nadias pizza auf Facebook hochladen. Während sie auf ihren prosecco warten, spricht die junge Akademikerin über künstliche Intelligenz und Large Language Models, wobei sie ihre Hand mit einem in vielen selfies erprobten unwiderstehlichen Lächeln über seine legt. Er möchte seine Hand wegziehen, aber [stelle ich mir vor] sein coach hat ihm eine zuverlässige Partnerin verschrieben. Er starrt unauffällig das verhungerte deutsche Mädchen an; sie ist nicht attraktiv, aber er möchte ihren welken bleichen Körper mit MilTec Klebband fesseln… Teppichmesser faszinieren ihn… unterwegs haben sie Fabrikruinen gesehen… seine zuverlässige Partnerin sagt, "beispielsweise snowflake" der prosecco verträgt sich nicht mit seinen Medikamenten, dazu kommt die Hitze; er möchte sich hinlegen…

Ein 50cc Motocross motorino heult auf den Platz und driftet vor den Tischen zum Stehen. Es ist der Junge, der mich beim Padiglione Tanzi gegrüsst hat; ich kenne den sound seines Motorrads. Wenn er durch unsere Gasse rast, über die schwarzgelben Gummi-Bremsschwellen springt, dann die Haarnadelkurven von der Porta Fiorentina runter bremst, schaltet, beschleunigt und die schnellen Geraden bis zur Kurve unterhalb des bischöflichen Seminars entlang rast, freue ich mich über den pubertären Lärm seines Motorrads. Der Junge ist dünn und scheint selbst für das leichte Motorrad noch zu klein. Er nimmt den Helm ab und bockt das rotweisse Beta Moto auf, ein Kunstwerk italienischen Motorrad-Designs. Mit dem Handrücken kämmt er wilde strohblonde Haare aus den hellen Augen und hängt den rotweissblauen Airoh Helm, ein weiteres Kunstwerk, an den Lenker. Der Junge ist wie eine Blume; ich möchte ihn kennenlernen.

Nadia steht bei der Treppe und lacht, "ciao, Denali!"

Denali zieht seine roten cross Handschuhe aus, umarmt und küsst Nadia. An den Füssen hat er rote cross Stiefel mit Schützern vor den Schienbeinen. Zerrissene grau-weisse flecktarn Jeans, ein oversized T-Shirt, darüber ein bartloses Bubengesicht.

"Weisst du, wie hungrig ich bin?"

Nadia fragt mich, "kann Denali bei dir sitzen?"

"Mit Freuden!" Danke Nadia! Womit habe ich das verdient?

Denali fragt, "sprichst du Deutsch? darf ich?", eine kräftige kleine Hand mit drei farbigen Bändchen um das Handgelenk zieht den Gartenstuhl vom Tisch, und schon sitzt Denali mir gegenüber. Auf Denalis T-Shirt steht "HACHI-ROKU" und "Fujiwara Tofu Shop", bekannt aus Initial D[1], einem Toyota AE86[2]anime über den Renngott von Mount Akina. Ein hübscher Junge, der Initial D kennt, ist so selten wie ein Hund, der Dänisch spricht. Ich möchte zu Denali wie in einem Manga sagen, ski des tsuki atte kudasai [Ich liebe dich. Bitte geh mit mir!], aber dieser Zug ist vor fünfzig Jahren abgefahren. Darum öffne ich die ramen akaneko game app[3]auf meinem Telefon und gebe es Denali. Seine Augen leuchten; er versinkt in ramen akaneko.

Nadia stellt sich neben Denali, "was isst du?"

Denali will pizza margherita, ich spaghetti all arrabbiata mit schwarzen Oliven.

Nadia sagt, "es ist zu heiss heute". Denali antwortet, "sogar zu heiss für ans Meer."

Ich rechne aus, dass Denali mit seinem Beta 50 ccm cross bike, wenn es nicht tuned ist, vierzig Minuten braucht bis ans Meer; "gehst du viel ans Meer?"

Huscht ein Schatten über Denalis Gesicht? Er fragt mich auf deutsch "wie alt bist du?"

"Vierundsiebzig"

"Wow, älter als meine Grossmutter!"

"Und du?"

"Wo ist der weisse Hund?

"Samurai ist gestorben."

Denali durchsucht sein Telefon; auf den gebräunten schlanken Armen glänzen blonde Häärchen. Denali zeigt mir ein Bild von Samurai mit Jessé, einem jungen Mann aus São Paulo, der Samurai geliebt hat.

"Bist du der Bruder des Professors? Mein Vater kenn ihn."

Ich verstehe, wer Denalis Vater ist: Dr. Lattmann, ein Arzt-Professor-Politiker. Mein Bruder kann mit solchen Leuten umgehen. Meinem Bruder gehört das grosse Haus gegenüber der Terrasse, mehr ein Stück Stadt als ein Gebäude. Wer es von der Piazza XX Settembre aus fotografiert, ahnt nicht, dass der Eingang zwei Stockwerke höher und ein paar Häuser entfernt auf die Via di Sotto geht.

Die deutsche Familie isst. Die verstimmte Tochter und ihre genervten Eltern haben sich für die Mahlzeit zu einer bürgerlichen Dreierbande zusammengeschlossen, die mit Gabel und Messer isst, Rotwein trinkt, während die von ihren Massakern erschöpften Jungs käsetropfende Pizzadreiecke mit roten Salamirädchen falten, in ihre schmallippigen Münder schieben, Coke trinken, mit fettigen Daumen auf dem phone tippen und mit vollem Mund ihre Schwester fragen, ob sie nachher kotze, was ihre Mutter zur Weissglut reizt, weil der Vater nicht reagiert, der [stelle ich mir vor] denkt, alles, was das Mädchen braucht, ist ein Freund. Wenn BTC [Bitcoin] weiter steigt, lässt er sich scheiden und nimmt die Zwillinge zu sich, wenn sie wollen.

Die dreissigjährige IT-Spezialistin fotografiert ihre nicht glutenfreie pizza und schiebt sie über den Tisch dem jungen Mann zu. Während sie seine spaghetti isst, erklärt sie ihm, dass spaghetti ursprünglich eine Sorte von Frischnudeln aus der Mongolei sind, Marco Polo beispielsweise. Ihr Partner kratzt mit dem scharfen pizza Messer die geschmolzene mozzarella von ihrer pizza und nimmt sich vor, nachts, wenn seine Partnerin schläft, einen MilTec Porno zu schauen. Können sie nachher nochmals in das Foltermuseum gehen? Sind ihre Tickets noch gültig? Ist das zu auffällig? Er schaut wieder das magersüchtige Mädchen an; ihre bleiche Dummheit zieht ihn an; um nicht an Militärklebbänder und Teppichmesser zu denken, zwingt er sich, an Sex mit dem tiefgekühlten IT-Wesen zu denken. Sie ist mit seiner LinkedIn Persona in den Ferien. Eine Frau wie sie umzubringen, macht keinen Spass. Er muss sie loswerden, aber sein coach sagt…

Ein weisser Fiat Panda mit gelben Streifen der Poste Italiane verschwindet in einem engen Torbogen, als würde er ins Nichts stürzen. Aus Nadias bluetooth Lautsprecher tönt leise Some guys have all the luck von Rod Stewart. Was Nadia im letzten Jahrhundert auf ihrem ersten Walkman gehört hat?

Nadia bringt Denalis Pizza, legt Denali ein schärferes Messer hin und fragt ihn, "bist du allein?"

Ohne von meinem Telefon aufzublicken, sagt Denali zu Nadia, "kann ich bei dir schlafen? Ich will nicht nach Hause gehen, Herta [die Haushälterin] hasst mich."

Nadia sagt zu Denali, "meine Mutter ist da; es geht nicht," dann zu mir, "hat dein Bruder keinen Platz?"

Mein Bruder und seine Frau haben zwei Gästewohnungen, in der sie ProfessorInnenpaare, SchriftstellerInnen, KomponistInnen, StudienkollegInnen beherbergen, nicht Teenager mit pubertären Problemen, die sich dem intellektuellen Zugriff entziehen.

Ich möchte zu Nadia sagen, er kann in meinem Gästezimmer schlafen, aber es ist eine schlechte IdeeTrouble will find you, no need to look for it! [4] Ich frage Denali, "wie alt bist du?"

Nadia sagt, "fünfzehn," und fragt Denali, "wo ist deine Geige?"

"In der Schule."

Minderjährig, Hände weg! Nadias Mann bringt mein Essen. Die spaghetti riechen so gut, dass ich den Geschmack nicht mit Streukäse ruinieren will. Die Köchin war grosszügig mit peperoncini; die schwarzen Oliven sind eine Erholung für meinen brennenden Gaumen. Denali isst bürgerlich ohne Ellbogen auf dem Tisch und fragt, "darf ich probieren?"

Ich wickle Denali spaghetti auf die Gabel. Vier Walküren hassen mich mit acht wissenden wässrigen Augen: Grooming all'arrabbbiata. Denali geniesst, angestarrt zu werden, "willst du ein Stück pizza?"

Denali füttert mir ein Stück pizza. Pizza nach spaghetti schmeckt nicht wie pizza, wenn man Hunger hat, aber Denali geniesst, die Walküren zu reizen, "der mit Samurai spazieren ging, wer ist das?"

"Jessé, ein Brasilianer."

"Dein Freund?"

"Samurais Freund."

Nach meinem caffè sagt Denali zu Nadia, "schreib es meinem Vater auf!"

Ich danke Denali und gebe Nadia fünf Euro Trinkgeld.

In der sonnigen Gasse ist es heiss. Denali kommt mit mir; es gibt keine Hilfe. C'est écrit dans le ciel[5][es steht im Himmel geschrieben]!

Mein Haus ist das kleinste der Gasse; rechts und links mit grösseren Häusern zusammengebaut; vier bescheidene Fenster und eine schmale zweiflügelige, oben runde, rotbraun gestrichene Türe. Ein grösserer Hund als Samurai wäre nicht durchgekommen. Die linke Hälfte des Hauses war bis nach dem zweiten Weltkrieg eine zur Strasse hin offene Schneiderwerkstatt mit eigener Hausnummer, in der Schneidermeister, Gesellen und Lehrlinge im Schneidersitz auf einem grossen Tisch sassen und von Hand nähten. Der frühere Laden ist jetzt die Küche; aus der Werkstatt ist ein bürgerliches Esszimmer geworden mit einem ovalen Esstisch und fünf Louis Philippe Stühlen. Der Vesuvausbruch von 1631 in Öl füllt eine Wand aus. Im Wohnzimmer vertreten zwei schokoladebraune Poltrona Frau Ledersessel aus zweiter Hand die beste Zeit des modernen italienischen Möbeldesigns. Das Steinway Klavier und das Sofa mit gelbem Samt sind von 1923; der militärische Zelttisch hat unter Napoleon einem General gedient; in einer Ecke steht eine Nussbaumsäule mit fünf Schubladen aus dem 18. und neben der Balkontüre die obligate barocke Truhe mit kompliziertem Schloss. Eine steile Treppe führt nach oben; in den zwei Schlafzimmern prächtige Schränke und Kommoden lokaler Schreinermeister aus dem ersten Weltkrieg, wie sie meine Grosseltern mütterlicherseits kauften, als sie 1925 aus St. Louis, Missouri, in die Schweiz zurückkehrten [und ihre Madretscher Verwandten hands-on kontrollierten, ob die Amerikaner anständige Matratzen in den Betten hatten]. An den Wänden Bilder vergessener Künstler, nach denen vor dem zweiten Weltkrieg Schulen und Strassen benannt wurden.

Denali sagt, "perfekt!", schaltet den Ventilator im Gästezimmer auf 5; legt sich auf das vor hundert Jahren in Volterra geschmiedete Eisenbett, steckt sich seine iPods in die Ohren und schläft ein. Siesta!

Es ist zu heiss [und zu spät], sich Gedanken zu machen. In meinem Schlafzimmer lege ich mich auf das alte Ehebett; über mir wirbelt der Ventilator. Alle Fenster stehen offen. Soll ich im Tönernen Hund[6] weiterlesen oder auf dem Telefon Semantic Error[7] [ein BL[8]anime über einen Jungen auf dem Spektrum] schauen? Ich lese ein paar Seiten Camilleri und schaue mir in Google Maps den Strand von Marinella an. Denali ist eine Liebesgeschichte, die vor -zig Jahren hätte sein können. Dann schlafe auch ich ein.

Als Denali erwacht, gehen wir zu Grazia. Denali trinkt eine spremuta und isst eine focaccia mit Tomaten und Thon. Ich trinke einen caffè. Via Domplatz kommen wir zur Piazza Martiri della Libertà. Sieht man Korsika?

Denali sagt in die Aussicht hinaus, "mein Vater hat zehn Freundinnen, aber sie sind alle nett; meine Mutter einen aufgeblasenen Segler aus Kiel, der sie gegen mich aufhetzt, weil ich ein Junge sein will. Er ist wie diese Harry Potter Frau…"

"J. K. Rowling…"

"… genau, warum kümmert er sich nicht um seinen eigenen Scheiss? Entschuldigung…"

Ach! Denali ist ein Mädchen! Ich bin halb enttäuscht, halb gönne ich mir schadenfroh die Enttäuschung. Was kommt es in deinem Alter noch drauf an, ob Denali ein Junge oder ein Mädchen ist?

Denali sagt, "meinem Vater ist es egal, aber meine Mutter macht Terror. Stört es dich?"

Ich sage, "wenn du ein Junge sein willst, dann bist du für mich ein Junge. Wichtig ist nur, dass du glücklich bist. Was geht es die anderen Leute und den Staat an?"

Aber ohne, dass ich es denken will, fragt sich mein Hirn, erstens, was bringt es Denali, wenn die Leute ihn für einen Jungen halten, und zweitens, was geht es die Leute an, ob Denali ein Mädchen oder ein Junge ist? Wenn Männer und Frauen gleich sind, kommt es dann noch darauf an, ob ein Mensch ein Mann oder eine Frau ist? Theoretisch gibt es kein Problem, aber praktisch werden deswegen jeden Tag Menschen missbraucht und/oder umgebracht.

"Was?"

"Ob du ein Junge oder ein Mädchen bist."

Unser Hirn hat Mühe, wenn etwas gleichzeitig gleich und ungleich ist. Obwohl ich vierundsiebzig bin, roch für mich Denali weniger nach Junge als meine sissy Freunde, die ich vergeblich dazu bringen wollte, für mich ein billiges chinesisches Hochzeitskleid anzuziehen.

"Ich habe mich nie als Mädchen gefühlt; wenn jemand zu mir sagt, du bist ein Mädchen, verletzt es mich. Ich möchte auf der ID das Geschlecht ändern, damit man mich in Ruhe lässt."

Wenn Denali ein M auf seiner ID will statt einem F, wem tut das weh? Warum muss das Geschlecht auf einer biometrischen ID stehen? Wäre nicht besser, mit dem Geschlechterstuss ganz aufzuhören? Wen interessiert schon dein Geschlecht?

Wir gehen im Schatten Richtung Garibaldi-Obelisk. Ich geniesse, nicht allein zu sein. Denali erzählt fröhlich vom General Grossvater seiner Mutter und, dass Carlo bei einer Tante wohnt; erwähnt wieder den Freund seiner Mutter in Kiel [in Wirklichkeit Denalis Stiefvater, denn die Eltern sind geschieden] und, dass Carlo 1.80 gross ist. Denali singt den Anfang der Sonatina opus 100 [von Antonin Dvorak] und sagt, dass Carlo wie ein Junge riecht. Denali redet über gesägtes versus gespaltenes Holz für Violindecken, weil er Geigenbauer werden will, und dass Herta Carlo hasst. Ich erinnere mich, wie unglücklich ich mit fünfzehn war; wie mich ein auf der Haut getragener Pullover eines Jungens faszinierte oder der sandige Terrazzoboden eines Hotelzimmers am Meer im Sommer. Ein Monat war wie heute ein Jahr.

Wieder zu Hause öffnet Denali das Klavier, "hast du eine Geige?"

"In der Schweiz, von meinem Grossvater, eine falsche Stradivari aus Böhmen, nichts Besonderes. Ich bewahre sie nur auf, weil sie von meinem Grossvater ist."

"Für meine Geige hat mein Vater zwölftausend Euro bezahlt; sie ist gut, obwohl es nur eine Yamaha ist. Ich will Geigenbau studieren. Morgen habe ich Stunde."

"Kannst du Smetanas Z domoviny [Aus meiner Heimat] spielen?"

"Jetzt lerne ich [Dvoraks] Romanze Op. 11 für Violine und Klavier."

Denali spielt mit der rechten Hand die Melodie … "ich kann nicht spielen"

Um neun gehen wir zu meinem Bruder und meiner Schwägerin essen. Beide kochen mit Leidenschaft und haben gerne Gäste. Ich spüre, dass sie über die Verwirrungen des Zöglings Denali informiert sind. Meine Schwägerin hasst den Genderquatsch, aber sie hatten schon mit meinen sissy Freunden Mühe. Denali hilft gut erzogen rein- und raustragen. Wir sprechen über NOF4[9], einen graffitti Künstler, der in Volterra gewirkt hat. Denali sagt, NOF4 sei ein alien gewesen; er will mir morgen die graffitti im manicomio [den Ruinen des Irrenhauses von Volterra] zeigen. Mein Bruder spricht über den Padiglione Tanzi [eine zerfallende Aussenstation des Irrenhauses im Bauhausstil] und dann über Dr. Lattmanns Sammlung toskanischer Kunst: Skulpturen von Cavallini[10], Gemälde von Ciccone[11] und Giolacicchi[12], Möbel von Edoardo Detti; mein Bruder kennt sich aus. Ich stelle mir macchiaioli[13] Bilder in schweren Goldrahmen vor und Kellner in weissen Jacken, die auf der Terrasse vor dem renovierten podere mit türkis Pool und Aussicht Gästen servieren, die über eigenen Wein, eigenes Olivenöl sprechen, Trüffel, Wildschweine und Illegale. Wenn Denali so aufgewachsen ist, wie lange wird er es in meinem Gästezimmer aushalten?

Nach dem Nachtessen spazieren wir in der Stadt. Vor den Baren stehen Trauben von Menschen mit grossen Schwenkern voll orangem Aperol Spritz. Die jungen Rechten trinken einheimischen Gin und singen in einer zur Strasse offenen Bar Boia chi molla[14] [Verflucht, wer weicht]:

BOIA CHI MOLLA! BOIA CHI MOLLA!

No amore, io non mollerò, sono un uomo, non mi arrenderò, tu mi ami e ami anche il mio ideale, meglio morto che vigliacco, meglio morto che venduto, tu mi ami e ascolta l'urlo...

BOIA CHI MOLLA! BOIA CHI MOLLA!

No amore, tu non puoi voler che io ceda, no amore, tu conosci il mio destino, si lo so che io potrei finire male, all'ospedale o sottoterra, in tribunale o in prigione, ma cosa importa ascolta l'urlo...

BOIA CHI MOLLA! BOIA CHI MOLLA!

Tu amore, devi aiutarmi a darmi forza, se ho paura devi darmi il tuo coraggio, e se cedo fammi vedere il tuo disprezzo, ricorda sempre questa frase, se occorre gridamela in faccia, questa frase è una bandiera...

BOIA CHI MOLLA! BOIA CHI MOLLA!

[VERFLUCHT, WER WEICHT!

Nein, Liebling, ich werde nicht weich, ich bin ein Mann, ich werde nicht aufgeben, du liebst mich und liebst auch meine Ideale, lieber tot als feige, lieber tot als verkauft, du liebst mich und höre den Schrei...

VERFLUCHT, WER WEICHT!

Nein, Liebling, du kannst nicht wollen, dass ich nachgebe, nein, Liebling, du kennst mein Schicksal, ja, ich weiss, dass ich schlecht enden könnte, im Krankenhaus oder unter der Erde, vor Gericht oder im Gefängnis, aber welche Rolle spielt das, höre den Schrei...

VERFLUCHT, WER WEICHT!

Du, Liebling, musst mir helfen, mir Kraft zu geben, wenn ich Angst habe, gib mir deinen Mut, und wenn ich nachgebe, zeig mir deine Verachtung, erinnere dich immer an diesen Satz, wenn nötig, schreie ihn mir ins Gesicht, dieser Satz ist eine Fahne...

VERFLUCHT, WER WEICHT!]

Im Begräbnisinstitut neben der anarchistischen Buchhandlung surft ein Mann im halb verdunkelten Raum im Internet; daneben verkauft eine alternative Galerie schwarze manicomio di volterra T-Shirts.

"Willst du was trinken?"

"Du?"

Auf der Treppe zum Parkplatz runter sitzen junge Leute und hören Cella 2 von Baby Gang[15]:

è lotta aperta alle baby
è finito in carcere
sono le baby gang
a capo della baby gang
una baby gang lo ricorderete
l'arrestato gli aveva detto
i carabinieri e la polizia
non mi fanno niente paga o te le diamo
baby gang baby gang
baby gang componenti delle baby gang
la gang gang
la baby gang


ero in cella chiuso da solo solo con tutti loro
guardavo quel soffitto
col fumo di uno marlboro
un giorno fra sarò ricco l'ho promesso a tutti loro
anche se stavo zitto avevo più palle di loro
tutti alle finestre cantavano in coro
quando gianni celeste partiva in cella di soro
partivano scommesse con le steche di marlboro
partivano gli schiaffi se provi a barare uomo
e sento click clack 24 su 24
e sento tick tack il tempo qui dentro è bastardo
e sento tu pac nella cella frate' affianco
e fanno tick tack e il capo posto non lo sa manco yao
com'è che va quanto ti manca frate'?
mi mancano solo due anni e tre
fai la domandina in cella com' è?
che tanto anche a me manca come te yao
figlio di puttana
o sei con baby ganga o sei con la madama yao yao
sai fratello chi infama
può partire uno schiaffo può partire una lama yao yao
urlava cabrera
urlava da quel blindo puttana la galera yao yao
la la guardia che schiera
perché c'è stato yuri si è tagliato la vena
yuri tagliato vena abess tagliato tutto
si è tagliato il braccio ha urlato appuntato
ha detto voglio un pacco è arrivato il pacco
senza parlare tanto senza parlare troppo
se non sei un bastardo là fra non duri troppo
io ti spacco il culo coi ragazzi del blocco
magro ma cazzo duro baby made in marocco babe
cazzo duro y

[es ist offener kampf gegen die baby gang
er ist im Gefängnis gelandet
sie sind die baby gang
an der spitze der baby gang
eine baby gang du wirst daran denken
der verhaftete hatte ihm gesagt
die carabinieri und die polizei
machen mir nichts zahl oder wir gebens dir
baby gang mitglieder der baby gang gangang
die gang gang
die gang gang

ich war in der zelle eingeschlossen allein mit ihnen allen
starrte an diese decke
mit dem rauch einer marlboro
eines tages werde ich reich sein ich habe es ihnen allen versprochen 
auch wenn ich schwieg hatte ich mehr eier als sie
alle an den fenstern sangen im chor
als gianni celeste in die kiste kam
es gingen die wetten los um marlboros,
es gingen die schläge los wenn du zu schummeln versuchst mann
ich höre klick klack 24 auf 24
und ich spüre tick tack die zeit hier drin ist ein bastard
und ich höre tupac in der zelle nebenan
und sie machen tick tack und der blockchef weiss es nicht mal
wie gehts und wie lange musst du noch bro?
nur noch zwei jahre und drei monate
frag in meiner zelle wie gehts?
soviel muss ich auch wie du yao
scheisskerl,
entweder gehörst du zur baby gang oder du gehörst zu den bullen yao yao
weisst du ein brüderchen das plappert
es geht mit einer ohrfeige los es geht mit einem messer los
schrie scheissbullen
schrie aus dem panzer scheissgefängnis yao yao
scheiss gefängnis schreit
die die wache schlug zu
weil es yuri war hat er sich die vene aufgeschnitten
yuri die vene und abess alles verschnitten
hat sich den arm verschnitten hat geschrien wache
ich will einen sanitäter der sanitäter kam
ohne was zu sagen ohne ein wort zuviel zu sprechen
wenn du kein scheisskerl bist hälst dus hier nicht lange aus
ich reiss dir den arsch mit den jungs vom block
mager aber mit m harten schwanz made in marocco baby
harter schwanz und]

Weil ich schwul, senil und halb dement bin, gefällt mir Zaccarias Stimme; seine Videos sind genial. Wieder zuhause schnappt sich Denali den schwarzen Klotz der Death Note[16] Gesamtausgabe und verkriecht sich im Gästezimmer. Ich lese auf italienisch das Manga L'estate in cui Hikaru è morto[17][Der Sommer, in dem Hikaru starb]. Wieviel Schönheit entgeht Menschen, die nicht schwul, senil und halb dement sind!

Wie ich nach Mitternacht das Licht löschen will, kommt Denali in mein Zimmer, "ich kann nicht schlafen…"

Mustergrossvater, der ich bin, sage ich, "soll ich dir eine Geschichte erzählen?"

"Super!"

Es war einmal vor vielen Jahrzehnten ein junger Mann, der… also, ich schrieb für ein Magazin free-lance einen Artikel über Alan Kardec…

"Wer ist Alan Kardec?"

"Ein französischer Spiritist, der bei Pestalozzi in Yverdon in die Schule ging… im 19. Jahrhundert…"

… weil mich nervte [und immer noch nervt], dass wenn ein Land, sei es die Türkei [Vertrag von Lausanne 1923], Thailand [zwei Könige sind in der Schweiz aufgewachsen][18], Nordkorea [Kim Jong Il ist in Gümligen in die Schule gegangen] oder hier, Brasilien, Sympathien für die Schweiz hegt, die offizielle Schweiz diesem Land die kalte Schulter zeigt. Alan Kardec hat als Pädagoge und als Spiritist in Brasilien bis heute einen unermesslichen Einfluss. Damals war ich intelligenter als heute, aber jeder Artikel, den ich schrieb, war… ich hatte nur eine Speicherschreibmaschine… ein Kampf. Meinen Artikel las eine Verwaltungsrätin des Verlages, die Kardec verehrte, und schon wurde ich an eine Redaktionssitzung eingeladen. Der Chefredaktor des Magazins hielt Kardec für einen Spinner und die Verwaltungsrätin für Creuzfeld-Jakob…

"Was ist Creuzfeld-Jakob?"

"Eine Rinderhirnkrankheit"

… infisziert. Er behandelte mich zuvorkommend.

Kawtang, ein Thai Freund, der in Phuket als Radio DJ arbeitete, machte damals jede Nacht von zwölf bis eins Geisterstunde im Radio mit Geistergeschichten und Hörern und Hörerinnen, die ins Studio anriefen und über Geister diskutierten. Geister sind populär in Thailand; die Geisterstunde war ein Erfolg. Wenn wir in Phuket ein Taxi nahmen, erkannten die Fahrer Kawtang an der Stimme. Diese Idee wollte ich kopieren.

Zurück zur Redaktionssitzung: Weil ich regelmässige Einnahmen dringend brauchte, schlug ich vor, jeden Monat ein Feature über Geister zu schreiben. Die coolen Zeitungsleute kannten Geister nur von Kurosawa oder Horrorfilmen, aber die Verwaltungsrätin insistierte… Kaum hatte ich den Auftrag in der Tasche… ich war mausarm… merkte ich, dass ich mit Geistern nichts am Hut hatte. Dank der Okkulta-Sammlung der Zentralbibliothek, zu der ich durch ungeschütztem Verkehr Zugang erhielt…

"Was ist ungeschützter Verkehr?"

"Ohne Kondom."

"Ich komme nicht draus."

"Der Kerl, der die Okkulta verwaltete, war schwul."

… kam ich auf Aleister Crowley, der für eine Folge gut war. Kawtangs Geheimrezept war, die Zuhörer zum Mitmachen zu bringen. Ich ermutigte die LeserInnen LeserInnenbriefe zu schreiben. Waschkörbeweise. Statt zwei Seiten brachten wir in der zweiten Folge vier Seiten. Ich besuchte das Geisterhaus in Bern, interviewte einen Pater Exorzist, Uriella und einen Parapsychologen…

"Schläfst du schon?"

"Bald"

… ich besuchte Spiritisten und hörte Vorträge von Chico Xavier…

"Wer ist Chico Xavier?"

"Schläfst du schon?"

"In fünf Minuten"

… Chico Xavier schrieb 450 Bücher, die ihm Geister diktierten, triefend von Liebe und Güte… Wie konnte ich daraus Artikel für Elle+Lui machen? In den spiritistischen Veranstaltungen lullten mich die Stimmen der Medien ein; ich begann eine Präsenz zu fühlen, und bei den Anthroposophen…"

Denali schlief. Irgendwann später in der Nacht ging er ins andere Zimmer hinüber.

Via di sotto, 11

Bevor ich am Morgen die Augen öffne, läutet das Festnetztelefon. Es ist Denalis Mutter: "Sind Sie sich im Klaren [mit grossem K], dass Denali erst fünfzehn ist?" Ja, in Italien fährt keiner ein 50cc Motorrad, der über sechzehn ist. Aber das Leben hat mich gelehrt, dass Antworten nicht gefragt sind. Während Warnungen, Ratschläge, Drohungen, Schmeicheleien auf mich einprasseln, schaue ich resigniert den Karton mit meiner Kaffeemaschine an, die schon Monate darauf wartet, in ein laboratorio gebracht zu werden, wo sie repariert wird; aber es ist mir nicht mehr wichtig, weil mir guttut rauszugehen und bei Grazia einen caffè zu trinken. Nach ein paar Minuten verlaufen sich die Wogen mütterlicher Wut im Sand meiner höflichen Aufmerksamkeit. Frau Lattmann erinnert sich, dass ich Schriftsteller bin, was Menschen, die nie ein Buch lesen, fasziniert wie pole dancing Evangelikale. Denali poltert die Treppe herunter, drückt sich an mir vorbei, "ich gehe in die Schule", und ist aus der Türe. Ich sage zur Mutter, "Denali ist zur Schule gegangen, machen Sie sich keine Sorgen!" Denalis Mutter erhält einen wichtigeren Anruf; aufgehängt.

Denali ist gewöhnt, dass Herta aufräumt, putzt, wäscht, kocht und den Kühlschrank füllt. Nach einer Nacht sieht mein Gästezimmer aus, als wäre eine Handgranate explodiert. Wehret den Anfängen! Ich nehme mir vor, durch gutes Beispiel zu führen und den Esstisch aufzuräumen, aber dazu müsste ich den Esszimmerschrank reorganisieren und die Küchengeräte, die ich nicht benütze, im Keller versorgen. Allein traue ich mich nicht in den Keller. Eine enge Treppe führt hinunter in ein vier Meter hohes Gewölbe, dem früheren Stall für die Maultiere, die Wasser und Wäsche vom römischen Brunnen Fonte Docciola rauftrugen, darunter liegen eine etruskische Zisterne und geheime Gänge in Volterras Unterwelt.

Ein wunderbarer Sommermorgen: Während Denali im Liceo Artistico im Borgo San Stefano büffelt, esse ich auf dem Balkon mein müesli mit Beeren und Yoghurt und trinke nachher bei Grazia, – es läuft Hotel California ab compact cassette – einen caffè.

Bewegung! Ich spaziere um die Stadt, in der unsichtbar achttausend Einwohner leben. Kein Haus ist, keine zwei Wohnungen sind gleich und jede Wohnung hat viele Generationen und viele Renovationen überstanden.  Hier führt eine kleine Türe in einen Innenhof mit Brunnen, dort ein massives Tor in einen seit 1945 unbewohnten Turm, der dreissig auf sieben Kontinenten verteilten Erben eines adligen Faschisten gehört. Die Häuser sind fünfhundert, sechshundert oder siebenhundert Jahre alt mit tausend oder zweitausend Jahre alten Fundamenten. Der Stadtplan von 1200 gilt noch. Die vielen Treppen erhalten jung.

Um 13:00 ist Denalis Schule aus; fünf Minuten später knattert sein Motorrad vor das Haus. Wir gehen zu Diah Verais, die Vollkornbrote mit frisch gegrillten Zucchini, getrockneten Tomaten und peccorino für uns macht. Denali fragt mich, "warum isst du kein Fleisch?"

"Aus Mitleid mit den Tieren."

"Aber ist es nicht normal?"

"Wenn du in einer Zeit lebst, wo Sklaverei normal ist, ist dann Sklaverei besser deswegen?"

"Du hast recht; was anderes: Ich habe mit meinem Vater telefoniert; kann ich das Zimmer mieten? … damit meine Mutter keine Probleme macht?"

"Was immer Dein Vater sagt." Denalis Vater ist schlau.

"Und kann ich sagen, du seist mein Grossvater? Ich habe keinen Grossvater, nur eine Grossmutter in Kiel."

"Absolut!"

Wir spazieren ein bisschen und dann siesta. Denali geht rauf in sein Zimmer.

Des Dramas zweiter Akt

Es klingelt: Carlo steht vor der Türe, "ist Denali da? Ich bin Carlo."

Carlo ist der farbige Fahnenwerfer, den ich schon oft in der Stadt gesehen habe. Ob der Leib Jesu durch unsere Gasse getragen wird, oder der Giro d'Italia in Volterra ankommt, die sbandieratori[19] sind dabei mit Fahnen, Trommeln und Trompeten. Der farbige Fahnenwerfer ist auf jedem Bild. Mittelstürmer beim Fussballclub Alabastri Volterra. Dunkle krause Haare, braune Haut, grosse Nase, athletischer Körper, ein junger condottiere ab einem Bild von Piero della Francesca[20]. Carlo sitzt in einem der Poltrona Frau Ledersessel und sagt entschlossen, als möchte er die Medici Festung stürmen, "ich liebe Denali". Hat er Tränen in den Augen oder fast?

Ich gehe rauf zu Denali, "Carlo ist da. Er sagt, er liebt dich."

Denali: "Was will er von mir?"

"Kann er raufkommen?"

"Mir egal!"

Hinter der dünnen Türe höre ich Hund und Katze streiten; weinen beide? Ruhe. Dann schreit Denali alto wie in einer Oper "lascia mi!" [lass mich!] und Carlo baritone "mi frega un cazzo!" [kümmert mich einen Scheiss!]; dann wieder Ruhe. Ich gehe zu meinem Bruder essen. Als ich zurückkomme, übt Denali Mazas 3. Etüde. Seine Geige hat einen guten Klang und ich höre, dass er billigen Schmelz vermeidet. Carlo ist verschwunden. Alles normal. In der Nacht kommt Denali in mein Zimmer, "ich kann nicht schlafen; erzählst du mir eine Geschichte? aber was anderes als letztes Mal!"

Es war einmal ein junger Schriftsteller, der glaubte, er müsse schreiben, was ihm am Herzen liegt…

"… bis er verhungerte…"

"… genau…"

"Eine andere Geschichte bitte!"

In einem Podere bei Peggioli starb ein riesiger alter Hund, grösser noch als Samurai. Die Frau, die im Podere den Haushalt führte…

"…wie Herta… sie hasst mich…"

… hiess Maria. Sie liess die Matratze des Hundes in der Halle liegen, weil sie nicht wusste, ob der Signore einen neuen Hund kaufen will. An einem Morgen, wie sie in das Haus kam, um für den Signore das Frühstück zuzubereiten, schlief ein Junge auf dem Hundebett, mit einem Sack voll Silbersachen daneben. Er hatte sich in das Haus eingeschlichen, um zu stehlen, aber war so krank, dass er sich auf die Hundematratze legte und einschlief. Er hatte hohes Fieber und sah aus wie ein...

"Wie heissen diese Walt Disney-Hunde?"

"Dalmatiner"                                                       

… wie ein Dalmatiner. Schwarze Flecken im Gesicht und überall. Er hatte AIDS. Der Signore rief einen Arzt. Maria pflegte den Jungen Tag und Nacht, aber er war am Sterben. Sie konnte nur noch beten. Nach vier Monaten ging es dem Jungen besser, aber er sprach kein Wort und hatte Todesangst vor allem, was er nicht kannte. Niemand wusste, wie er hiess; er hatte keine Papiere. Der Signore wollte die Polizei nicht benachrichtigen, denn wenn der Junge ein Illegaler wäre, würde die Polizei ihn mitnehmen und in ein Lager stecken, wo er wieder krank würde, doch bald darauf starb der Signore.

"… wie alt war der Junge?"

"… vielleicht vierzehn…"

Der Signore vermachte das Podere dem Jungen, aber der Junge konnte nicht sprechen und hatte keine Papiere; ohne den Jungen würde der Bruder des Signore das Podere und das Vermögen des Signore erben. Der Bruder war ein Schweizer Professor…

"… und geldgierig…"

"… nein, aber nicht reich …"

… mit einem Sohn, der seit Monaten nicht aus seinem Zimmer kam, immer am Computer…"

"… hikikomori, mein cugino in Deutschland ist auch einer…"

… der Professor kommt nach Peggioli, Begräbnis, Testamentseröffnung, zweihundert Hektaren Getreide, Oliven, Wein, Wald, Wildschweine, Pferde und rostige Traktoren…

"… haben wir alles auch; was will Carlo von mir?"

"Er hat gesagt, er liebt dich…"

"In der Schule denken alle, wir seien ein Paar. Barbara sagt…

"Wer ist Barbara?"

"… vom Kinderkleiderladen, meine Tante; sie hilft mir immer… sagt, ich solle mir Carlo nicht entgehen lassen."

"Was willst du?"

"Von dem Haufen in Volterra ist Carlo der Beste, das ist klar."

Denali beginnt zu weinen, "es ist ein Alptraum." Er krümmt sich zusammen und versteckt den Kopf unter dem zweiten Kissen meines Bettes, "lass mich schlafen!"

Wie ich Denali sagen will, "nimm an, was das Leben dir schenkt" und "geh in dein Bett rüber", verstehe ich: Nimm an, was das Leben dir schenkt! Schläft Denali? Ich lese ein paar Seiten von Gorkis Das Werk der Artamonovs, dann lösche ich das Licht. Dass Denali mir vertraut und dass er und Carlo sich lieben, macht mich glücklich. Bald schlafe auch ich. Irgendwann später in der Nacht geht Denali in sein Zimmer hinüber.

Die Glocke der Kirche San Michele[21] weckt mich um acht Uhr. Aus den Fenstern der alten Scuole Nuove [Neuen Schulen] von 1764, wo schon Papst Pius IX büffelte, heute Istituto Tecnico Statale Ferruccio Niccolini, schauen mir die SchülerInnen ins Bett. Um nicht aufstehen zu müssen, bilde ich mir ein, sie sähen nicht, dass ich noch im Bett liege, wenn sie schon unter der Bank mit zwei Daumen "mi fa schifo" [es scheisst mich an] texten, während die Lehrerin eine Folie…

Il ricevimento della fattura è alla base del momento della liquidazione in cui viene svolta la verifica della corrispondenza dei dati della fattura con la prestazione effettivamente ottenuta dal fornitore e vengono rilevati in contabilità i costi per l’acquisizione dei fattori produttivi, il debito nei confronti del fornitore e, in relazione all’applicazione dell’IVA l’eventuale rapporto di debito o credito verso l’Erario. 

[Der Erhalt der Rechnung ist die Grundlage für den Zeitpunkt der Abrechnung, in dem die Übereinstimmung der Rechnungsdaten mit der tatsächlich vom Lieferanten erbrachten Dienstleistung erfolgt und die Kosten für den Erwerb von Produktionsfaktoren, die Schulden gegenüber dem Lieferanten und im Zusammenhang mit der Anwendung der Mehrwertsteuer ein etwaiges Soll- oder Habenverhältnis gegenüber dem Fiskus in der Buchhaltung erfasst werden.]

… auf die weisse Wandtafel des hohen Klassenzimmers projiziert, wo [stelle ich mir vor] unter den neidischen Blicken spöttischer Mädchen in der brütenden Langeweile ein Junge mit seinem aufmüpfigen Schwanz in der weiten weissen FILA-Trainerhose kämpft. Nun rächt sich, dass er heute morgen keine Lust hatte, die enge fake Calvin Klein Unterhose anzuziehen, die ihm seine Mutter im Dreierpack für fünf Euro auf dem Markt gekauft hat, obwohl er Boxer wollte. Sein bester Freund braucht Freiheit! Durch die hohen Klosterfenster locken Sonne und blauer Himmel; die Aussicht macht trunken.

Denali hingegen liest im früheren Istituto Statale d'Arte, einem modernen Gebäude von 1932 mit einem M- [wie Mussolini] förmigen Grundriss, La Ginestra von Giacomo Leopardi…

Qui sull'arida schiena
del formidabil monte
sterminator Vesevo,
la qual null'altro allegra arbor né fiore,
tuoi cespi solitari intorno spargi,
odorata ginestra
contenta dei deserti...

[Hier auf dem dürren Grat
Des schreckensvollen Berges
Vesuvio, des Verwüsters,
Wo sonst nicht Baum noch Blume fröhlich grünt,
Verbreitest du dein einsam wuchernd Laub,
Duftvolle Ginsterblume,
Genügsam in der Öde…]

… während mir an einem Tischchen vor der Pasticceria Migliorini was in Gaza geschieht, das Herz bricht. Ich nehme mir vor, Geld an UNRWA zu überweisen, sagen darf man nichts. Russen, Ukrainer, Deutsche, Briten, Franzosen sitzen an wackeligen runden Tischchen auf denen kleine Kaktusse verdursten in extra für diesen Zweck angefertigten rezyklierten leeren Konservenbüchsen. Einziger Lichtblick sind die Sonne und die klaren Stimmen der Frauen, die in der Pasticceria Migliorini arbeiten. Meine Freunde senden mir aufmunternde Messages, aber selbst meine Freunde haben keine Lust mehr, meine neuen Texte zu lesen; was mache ich falsch? oder erteilt mir die Realität eine nützliche Lektion? Oder wie es in dem Manga Mit Steuergeldern gekaufte Bücher [22]heisst, "ist es nicht okay, wenn es eine Katastrophe ist?" 

Bewegung ist die Lösung! Ich nehme den Rucksack und spaziere bis ans Ende des Borgo San Giusto, wo die Strasse wie eine Strasse im Nordosten Brasiliens aussieht. Wurden die Häuser in Pernambuco von italienischen Einwanderern gebaut oder die Häuser im Borgo San Giusto von italienischen Rückwanderern aus Brasilien?

Im Conad Supermarkt kaufe ich Antipasti und frische Ravioli in der Hoffnung, dass Denali mit mir isst. Dann gehe ich über den Feldweg zurück. In einem vernachlässigten Garten wartet ein Strohstuhl auf eine Ziege, die ihn frisst. Doch die Ziegen, Esel, Maultiere, Ochsen, die noch 1950 auf jedem schwarzweiss Foto in Volterra in die Kamera schauten, sind mit den Menschen von 1950 verschwunden. Ihre intelligenten Grosskinder sitzen nun an Schreibtischen vor Bildschirmen und administrieren die Wenigen zutode, die noch was herstellen oder flicken können. Mir kommt Rossinis La Cenerentola in den Sinn, wo die zwei eitlen Stiefschwestern, die nicht kochen, nähen, putzen können, verlangen, dass Aschenbrödel, die alles und noch mehr kann, für sie kocht, näht und putzt.

Ich habe Glück: Denali und Carlo essen, was ich gekocht habe; Hunger ist der beste Koch! Denali urteilt, "nächstes Mal koche ich", worauf Carlo meine Barilla Tomatensauce überschwänglich lobt. Dann fragt mich Denali, ob Carlo manchmal hier schlafen darf, weil sein Zimmer im Haus einer zia im Borgo San Felice unterm Dach ist und heiss; ein plausibler Grund. Ich sage, "du hast ein Zimmer gemietet; jetzt kannst du selbst entscheiden, wer bei dir schläft."

Denali und Carlo räumen den Tisch ab und waschen das Geschirr ab im Doppelschüttstein aus ècru Steinzeug meiner kleinen Küche aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ich sitze im Wohnzimmer und höre Denalis protestierenden hellen Alt und Carlos insistierenden dunklen Bariton. Dann gehe ich hinauf und lege mich hin. Es ist heiss.

Später ruft Dr. Lattmann auf dem Festnetz an und lädt Denali und mich zusammen mit meinem Bruder und meiner Schwägerin zum Essen im Duca ein. Denali ruft gleich zurück, er komme nur, wenn Carlo miteingeladen sei.

Ristorante Enoteca Del Duca

Sechs Personen: Guido Lattmann ist ein grosser Mann, der am Stock geht, toskanisch-bürgerlich angezogen: dunkle Lederschuhe, Manchesterhosen mit Bügelfalten, langärmliges hellblaues broadcloth Hemd, Jackett Leinen handgewoben. Er sieht krank aus. Denali fragt ihn sofort, "Daddy, wie geht es dir?"

"Nicht wirklich gut. Wie geht es dir? Was spielst du jetzt?"

"Immer noch Dvorak 11"

"Wer spielt Klavier?"

"Fernando ist genial; wir streiten uns jeden Tag"

"Und wer hat recht?"

"Fernando natürlich; es ist ein romantisches Stück; der moderne Flügel ist zu hart dafür, aber gerade das gefällt mir"

"Spielt ihr es einmal für mich?"

"Wann hast du Zeit?"

Wir setzen uns. Carlo sitzt zwischen Lattmann und mir. Denali Carlo gegenüber. Während ich das Menu studiere, höre ich Lattmann zu Carlo sagen [italienisch] "bitte entschuldige, ich habe mich über dich erkundigt…"

Carlo, gereizt, "… und…"

Lattmann: "… nur Gutes über dich gehört; darum möchte ich dich um etwas bitten…"

Carlo: "… wenn es für Denali ist, tue ich alles…"

Lattmann: "… du weisst, ich bin krank; bitte kümmere dich um Denali…"

Carlo: "… ich will, aber Denali… "

Lattmann: "… oder wie ein Bruder; Denali braucht jemanden, der ihn beschützt…"

Carlo: "… ich verspreche es…"

Lattmann: "… danke; du wirst es nicht bereuen… was isst du?"

Auch dieses Menu kann ich auswendig; die Auswahl ist klein, weil alles frisch gekocht wird. Denali hält das Menu in den Händen und schaut dem Kellner beim Bestellen in die Augen wie eine Tochter aus gutem Haus.

Lattmann sagt zu mir, "ich hoffe, Denali belästigt Sie nicht"

Ich: "Ich bin nicht gerne allein"

Lattmann: "Sie sind Schriftsteller?"

Ich: "Schweizer Mundartdichter; niemand liest, was ich schreibe. "

Lattmann: "Seit ich krank bin, interessiert mich auch nicht mehr, was in Rom läuft."

Der Kellner steht neben uns; Lattmann bestellt primo, secondo und eine Flasche Bolgheri; ich Tomatensuppe und Risotto mit carciofi. 

Wenn onorevole Lattmann sich mit meinem Bruder und meiner Schwägerin unterhält, entspricht er meinem Vorurteil bis ins Detail. Aber, wenn es um die Künstler geht, die er schätzt, oder um Musik, höre ich ein authentisches Interesse.

Auf dem Heimweg sagt Denali zu mir, "verzeih! mein Vater ist so"

Später kommt Denali in mein Zimmer und sagt, "erzähl mir eine Geschichte!" Ich möchte ihm Sto morendo per te vorlesen, aber bevor ich den Mund aufmachen kann, sagt Denali, "was ist der Sinn des Lebens?"

"Woher weisst du, dass das Leben einen Sinn hat?"

"Dann hat es keinen Sinn?"

"Was ist der Sinn der Nacht? Was ist der Sinn des Mondes? Was ist der Sinn der Sterne?"

Denali insistiert, "ist es die Liebe?"

"Möchtest du es auch wissen, wenn es kompliziert ist?"

Denali setzt sich im Schneidersitz auf mein Bett, "du bist mein Guru!"

"Wenn ein Baby auf die Welt kommt, hat es einen Zettel um den Hals gebunden, ich komme, um die Stadt vom Tyrannen zu befreien, oder sonstwas?"

"Das verstehe ich nicht."

"… oder hat dir später jemand gesagt, was dein Auftrag auf der Erde ist?"

Denali schüttelt den Kopf.

"Haben dir deine Eltern gesagt, wozu sie dich gezeugt haben?"

"Mein Vater wollte Kinder, weil er Kinder liebt, wie er Hunde und Pferde, Olivenbäume und Weinstöcke liebt. Meine Mutter… vielleicht wollte sie ein Baby, bevor sie zu alt dafür war, oder bevor sie sich scheiden liess, oder weil alle ihre Freundinnen Babys hatten."

"Haben sie dir nicht gesagt, wir haben dich gezeugt, damit du xy tust?"

Denali lacht, "du meinst, weil ich keinen Zettel um den Hals hatte, werde ich nie wissen, welchen Sinn mein Leben hat?"

"Du weisst, warum du auf die Welt gekommen bist, aber was du mit deinem Leben anfängst, hängt von dir ab."

"Carlo glaubt, der Sinn seines Lebens sei, mich zu lieben."

"Du hast Glück."

"Warum?"

"Weil dich jemand liebt."

"Mein Vater will, dass wir uns verloben, bevor er stirbt, aber…" Denali beginnt zu weinen, "ich geh schlafen, gute Nacht!"

Er geht in sein Zimmer rüber. Mit fünfzehn war ich hübsch und todunglücklich und heute bin ich vierundsiebzig, hässlich und glücklicher. Wie mühsam das Leben ist! Ich lese auf dem Telefon Hikaru weiter. Habe ich einmal eine Geschichte geschrieben, in der einer sagt, Lieber mit dir in die Hölle als allein in den Himmel? Ich erinnere mich nicht mehr. Denali ist jung, reich, intelligent, begabt und Carlo liebt ihn. Denali, waz wirret dir?

Auf der Treppe neben dem Haus tönt aus einer Boombox…

Tengo solo una mentalité-é-é-é
O gli sparo o mi spara

[Ich habe nur eine Einstellung-lung-lung-lung
Ich erschiesse ihn oder er erschiesst mich][23]

Die Jungen sprechen nachts auf der Treppe Schulitalienisch ohne cazzo und culo; trinken Red Bull statt Bier; ich rieche nur Garten Gras.

Nach Mitternacht lerne ich drei Lektiönchen Japanisch, damit mein duolingo streak nicht abbricht; dann höre ich eine Japanese Listening Practice zum Einschlafen. Verstehe ich zehn Prozent? zwanzig Prozent?

Um fünf Uhr wache ich auf. Am dunkeln Horizont erste Vallotton-artige gelbe und rote Lichtstreifen. Absolute Stille. Ich trete ans Fenster.

Bald fährt der erste Bus nach Pontedera. Verschlafene Schüler, die Zähne vielleicht geputzt, Deo und Blick in den Spiegel, stolpern stumm durch die Via Giacomo Matteotti Richtung Busstation. Im Bus werden sie Kapuze über dem Kopf mit irgendwem chatten, an die Schule denken und nicht an die Schule denken wollen. Jeden Morgen zu früh im Bus unterwegs zu einem Diplom, einem Beruf, einer Stelle… eine endlose verpisste Unterführung in eine bessere Zukunft:

Per venti fottuti euro sto correndo avanti e indietro
Vieni qua, vai di là, non ho mai dato buste a credito
Non è che sono stronzo, è solo che non sono scemo
Non rischio la galera per il tuo divertimento[24]

[Für zwanzig verdammte Euro renne ich hin und her
Komm her, geh dorthin, ich habe nie Säckchen auf Kredit gegeben
Es ist nicht so, dass ich ein Arschloch bin, ich bin nur nicht dumm
Ich riskiere nicht Gefängnis zu deiner Unterhaltung]

Dann höre ich Denalis Türe: Er geht die Treppe runter, öffnet die Haustüre, vier Füsse kommen die Treppe rauf. Carlo wispert, "und wenn er uns hört?" Denali kichert leise, "er schläft." Küssen sie sich? Denalis Türe klickt zu. Alles ist gut. Ich bin glücklich. 

 

 


 

[1]Initial D, Kult Manga in achtundvierzig Bänden von Shigeno Shuichi (*1958) über junge Strassenrennfahrer (1995-2013). 

[2] Toyota AE86: ein Toyota Corolla Modell, das von 1983 bis 1987 gebaut wurde und heute dank Initial D zwei oder dreimal so viel kostet wie neu.

[3]Ramen Akaneko [Rote Katzen Ramen Shop]Manga von Angyaman (2022): ein paar Katzen, eine scheue Tigerin und eine junge Frau betreiben zusammen allen Vorurteilen zum Trotz erfolgreich ein Nudelrestaurant. 

[4] Gangsta's Paradise, Coolio, 1995.

[5]Song von Bob Azzam, 1960.

[6] Il cane di terracotta, Andrea Camilleri, 1996.

[7]Simaentik ereo, koreanischer web novel von Jeo Soo-ri, 2018.

[8] Boys Love, soft-schwul.

[9] Nannetti Oreste Fernando, 1927-1994.

[10] Sauro Cavallini [1927-2016].

[11] Antonio Ciccone [*1939].

[12] Giovanni Giolacicchi [1900-1992].

[13]Italienische Impressionisten.

[14] Slogan der Rechten, dann der Linken, gegenwärtig wieder der Rechten.

[15]Cella 2 von Baby Gang [2020], Zaccaria Mouhib und Nedi Jozic.

[16] Manga von Tsugumi Ohba [Text] und Takeshi Obata [Zeichnungen], 2003-2006.

[17]Hikaru ga shinda natsu, Manga von Mokumoku, begonnen 2021.

[18]Auch Indira Gandhi und Kim Jong-un gingen in der Schweiz zur Schule.

[19]Korps der Fahnenschwinger von Volterra.

[20]Piero della Francesca [†1492], Maler und Mathematiker.

[21] Geweiht am 14. August 987.

[22]Zeikin de katta hon (2021), Text Zuino, Zeichnungen Keiyama kei.

[23]Baby Gang, Mentalité, 2022.

[24] Paky, Street Life, 2024.