Für Tigran und Arsen
Federico, Andreas Cousin, war von klein an Andreas Ersatzbruder. Mit niemandem war Andrea so vertraut wie mit Federico. Sie hatten zusammen nackt am Strand gespielt, zusammen in der alten Badewanne mit den Löwenfüssen gebadet. Jeder wusste, was der andere gern oder ungern ass. Wenn Andrea stürzte, kümmerte es ihn nicht, wenn Federico einen Kratzer hatte, weinte Andrea. In allem kam für Andrea Federico zuerst. Federicos Lächeln… seine schmalen Finger, die glatten Haare, alles an Federico schien Andrea schöner als er selbst. Nur Federico verstand Andrea. Nur Federico durfte wissen, wovor Andrea sich fürchtete. Andrea brauchte, dass Federico lachte.
Die Kinder in Andreas Kindergarten und Primarschule waren Arbeiterkinder, die gröber spielten als Federico. Andrea lernte früh, Fussball zu spielen, weil er meist der Einzige war, der einen guten Ball besass. Von den Kindern auf der leeren Parzelle hinter dem Block, in dem seine Familie wohnte, lernte Andrea sich zu wehren. Zum Glück war er gross für sein Alter und kräftig. Der tägliche Kontakt mit Arbeiterkindern härtete Federico ab. Auf der Strasse half Heulen nichts.
Andreas Vater arbeitete als Arzt im Ambulatorium eines Kinderspitals in Monza und verdiente schlecht. Überstunden, Nachtwachen, Notfälle; Andreas Vater war dauernd übermüdet. Für Andrea war sein Vater ein Held, der jeden Tag Leben rettete. Andrea träumte, wie sein Vater Arzt zu werden. Wenn er seinem Vater das Essen ins Spital bringen durfte, war Andrea stolz auf den weissen Mantel seines Vaters und das Stethoskop um den Hals.
Andreas Mamma arbeitete als Kinderpsychologin. Federicos Mutter war ihre Schwester. Die Schwestern hatten ein gespanntes Verhältnis, weil Federicos Eltern religiös waren und Andreas Mutter Sozialistin, aber es gab auch eine geheime Solidarität zwischen den Schwestern, während die Väter sich auf trockene Sachdiskussionen beschränkten.
Andreas Eltern wussten, dass Andrea sich Geschwister wünschte, aber sie hatten keine Zeit für ein weiteres Kind. Sie waren vernünftig. Sie liebten Andrea und liebten ihre Arbeit. "Federico ist dein Bruder! Reicht dir das nicht?"
Andrea verstand mit der Zeit, dass ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester Federico verdrängen würde. Andrea wollte nicht irgendein Geschwister; er wollte Federico.
Die Grossmutter lebte seit dem Tod des Grossvaters das ganze Jahr in ihrer Villa in San Vincenzo. Sie erwartete, dass die zwei Schwestern mit ihren Kindern den Sommer bei ihr verbrachten. Andreas Mutter kehrte für den Sommer in die gepflegte Bürgerlichkeit ihrer Familie zurück. Federicos Mutter liess unauffällig die Zügel schleifen; im September würde sie in Pisa wieder andere Saiten aufziehen. Sie fürchtete sich vor ihrer Mutter, die keinen Widerspruch duldete und die beiden Enkel verwöhnte. Mit der reichen Grossmutter wollte es niemand verderben.
San Vincenzo ist ein verschlafenes Seebad an der Riviera Toscana, das sich im August in einen aufgeregten Jahrmarkt der Eitelkeit der italienischen Mittelklasse verwandelt, um im September wieder einzuschlafen. San Vincenzo war mal wichtig für die Sodaproduktion, davon bleibt eine 300m lange Fabrikruine, die man sich nicht abzureissen traut, weil der junge Luigi Nervi, ein berühmter Architekt, sie entworfen hatte. In San Vincenzo schliessen sich seit Generationen die Jugendlichen im Sommer zu Banden zusammen und machen, was sie wollen, während die Eltern unter ihren Sonnenschirmen sitzen, in ihren Sommerbüchern blättern oder über das Essen und die Schulnoten ihrer Kinder sprechen.
Das Haus der Grossmutter ging auf den Strand. Die Grossmutter lebte das ganze Jahr mit offenen Fenstern. Sie glaubte an die heilsame Wirkung frischer Luft. Das Haus war ihr Elternhaus; sie schuldete niemandem was. Von Kindererziehung glaubte sie mehr zu verstehen als ihre Töchter, die den Rest des Jahres mit den Enkeln machten, was sie wollten. Im August gehörten die Enkel der Grossmutter.
Am Strand spielte Andrea mit Federicos Schaufel, Eimer und Kipp-Lastwagen, Federico mit Andreas Förmchen, Fisch, Mond und Stern, Banane, Schnecke. So klein sie waren, erinnert sich Andrea doch an Federicos feine weisse Haut, sein zartes Gesichtchen, seine fein gestrickten beigen kurzen Hosen. Meer, Strand, Sand und Federico gehörten für Andrea zusammen. Dass sie in San Vincenzo waren, lernte Andrea erst später.
Andrea und seine Eltern, Federico mit seinen Eltern und die Grossmutter. Das Haus in San Vincenzo war gross, die Möbel alt. Die Grossmutter wollte nichts ändern. Federicos Mutter verdächtigte die Grossmutter, die Kinder absichtlich der elterlichen Autorität zu entziehen.
Federico und Andrea schliefen in grossen alten Ehebetten in einem riesigen, hohen Schlafzimmer. Die Grossmutter wollte es so. Andreas Mutter gönnte Andrea das Glück, mit Federico das Zimmer zu teilen. Federicos Vater hoffte, dass Andreas gesunde Jungenhaftigkeit auf Federico abfärben würde.
Andrea liebte Federico und neben ihm in diesen antiken Betten zu schlafen, war sein grösstes Glück. Nur mal ein Arm oder ein Bein überquerten den Anstandsspalt zwischen den Betten. Andreas Eltern glaubten daran, dass man Kindern Raum lassen muss um zu wachsen. Federicos Eltern waren für Kontrolle, doch sie wollten die Grossmutter nicht reizen, weil ihr das Mehrfamilienhaus in Pisa gehörte, in dem man wohnte und das man zu erben hoffte.
Andrea und Federico spielten am Meer, fuhren erst kleine, dann grössere Velos, assen zusammen mit der Grossmutter und den Eltern… Andrea lehrte Federico schwimmen, tauchen, schnorcheln, rudern. Während der siesta lagen sie nur in Shorts in dem verdunkelten Schlafzimmer quer über den Betten und hörten Musik, spielten games auf Andreas smart phone, schauten Videos. Manchmal berührten sich, wenn sie nebeneinander lagen, ihre Schultern und ihre Hüften. Weil die Ferientage gezählt waren, kosteten sie die Momente aus, wenn sie zusammen sein durften. In jedem Augenblick lag in der Luft, dass einer dem anderen ich habe dich gern sagen würde, doch sie waren zu scheu, es auszusprechen.
Andrea lernte früh, dass er nicht verraten durfte, dass für ihn nur Federico zählte auf der Welt. Wenn er von Federico träumte, fühlte er sich schuldig. Was würde Federico von ihm denken? Nachts standen die hohen Fenster offen, der Mond schien ins Zimmer. Andrea lag wach und betrachtete Federico, der in Unterhosen auf dem Leintuch schlief. Federico schien Andrea unvergleichlich schön. Andreas Fussballfreunde scherzten beim Duschen, was man mit hübschen Jungen anfangen konnte, doch Andrea dachte nicht an Federico. Höchstens, dass Andrea mal dem Schlafenden die Haare aus dem Gesicht strich, um seine Augen zu sehen, und wenn Federico davon aufwachte, sein Lächeln.
Dass man vor Federicos Eltern nicht andeuten durfte, Federico sei mehr seine Schwester als sein Cousin, verstand Andrea, bevor er in die erste Klasse kam. Wenn Andrea und Federico allein waren, spielten sie Mutter und Vater; Andreas rosa Delphin war ihr Kind, das an Federicos Brust trinken wollte. Dass sie später heiraten würden, war ihnen klar, solange ihnen nicht klar war, was heiraten bedeutete.
In der Schule sah Andrea, wo seine Augen hingingen, doch wenn er nachts im Bett lag, sehnte er sich nur nach Federico. Kein Junge war so schön wie Federico.
Machte, dass Federico wie ein Mädchen war, Andrea weniger schwul? Wenn Andrea sich Federico in einem weissen Hochzeitskleid aus steifem Tüll vorstellte, möchte er Federico umarmen und küssen…
Federico ist mein Schatz, dachte Andrea, wenn die beiden abends am Meer spazierten. Sie küssten sich nicht, aber Andrea legte einen Arm um Federicos schmale Schultern. Sie redeten über nichts und es wurde ihnen nicht langweilig dabei. Mal sagte Federico etwas, was nur ich liebe dich bedeuten konnte, mal sagte Andrea in einem Nebensatz, weil ich dich gern habe… sie wichen aus, weil sie sich ihrer Träume schämten.
Federicos Eltern waren ernste Waldenser. Die beiden Grossväter hatten sich in der Gemeinde kennengelernt. Gerecht zu sein, war, worum sie sich bemühten. Ohne dass es ihnen bewusst war, teilten sie die Menschen in Gerechte und Verworfene ein. Gerecht zu sein umfasste alle Bereiche des Lebens. Nur Gerechte konnten in ihrer letzten Stunde Gott mit heiterem Gesicht entgegentreten.
Andreas Eltern sprachen nicht darüber, dass Mamma nach dem Tod ihres Vaters aus der Gemeinde ausgetreten war. Andreas Vater kam aus einer bücherlesenden Arbeiterfamilie; er hielt die Waldenser für eine erzbürgerliche Sekte. Andreas Mutter war die Gemeinde zu streng. Als Kinderpsychologin erlebte sie jeden Tag, was Härte in Kinderseelen anrichtet.
Der Grossvater war Waldenser gewesen; die Grossmutter konnte nach seinem Tod, sagte sie, damit leben, dass das eine wahr war und das andere auch. Sie liebte Federico, wie er war, wenn nicht sogar, weil er war, wie er war. Sie gönnte den Gerechten einen mädchenhaften Stammhalter. Dass Andrea und Federico sich liebten, verstand sie Jahre, bevor es Andrea und Federico aufging.
Andreas Eltern scherzten in Monza manchmal über Federicos strenge Eltern, doch in San Vincenzo kein Wort. Wenn Federico in San Vincenzo betete, wartete Andrea still. Dass Federico an Gott glaubte, schien Andrea Teil von Federicos Charme. Federico sagte, "ich bete auch für dich." Nach dem Gebet suchte Andrea im Dunkeln Federicos Hand, ohne die er nicht einschlafen wollte.
In San Vincenzo stellten Federicos Eltern Andrea Federico als Vorbild hin. Raffaela rätselte mit ihrer Schwester darüber, was sie falsch gemacht hätten, schliesslich war Manuela Kinderpsychologin. Die Grossmutter goss Öl ins Feuer, "ich mag Federico, wie er ist; er ist ein braver Junge." Man einigte sich, dass es eine Phase sei, und schickte die beiden Jungen in einen Tauchkurs, obwohl Federico vom Tauchen Kopfschmerzen bekam.
Andrea war ein richtiger Junge; er spielte Fussball. Auf der Strasse hatte er Ausdrücke gelernt, die er vor seinen Eltern nicht wiederholte. Vor Federico sagte Andrea höchstens mal merda und entschuldigte sich gleich. In seiner Schule war Federico oft das Ziel grober Ausdrücke, doch er fragte sich nicht, was sie bedeuteten. Sex verwirrte ihn. Er schämte sich seiner Verdorbenheit, die ihm seine Eltern ständig vorhielten. Wenn Andrea jetzt hereinkäme…
Was immer Federico tat, sagte, dachte, war seinen Eltern verdächtig. Sie hatten keinen Fernseher und YouTube war blockiert auf ihrem WiFi. Abends musste Federico sein Smartphone ausserhalb seines Zimmers zum Laden einstecken. Facebook, Instagram, TikTok… vergiss es! Er musste Tennisstunden nehmen bei einem sadistischen Tennislehrer, dessen harte Bälle Federico das Racket aus der Hand schlugen.
Andrea hatte ein Dutzend Stofftiere und schlief mit einem rosaroten Delphin; Federicos harter, mit Stroh und Sägemehl gefüllter gelber Teddybär durfte nicht in Federicos Bett schlafen. Federicos Eltern waren entschlossen, aus Federico einen Mann zu machen. Wenn es Federico langweilig wurde in der Schule, zeichnete er Szenen aus Cinderella in sein Heft und riss nachher die Seiten raus. Federicos Prinz glich Andrea, wem den sonst?
Andrea tanzte zuhause vor dem Fernseher und sah so viele Filme am Fernsehen, wie er wollte. Er hatte ein elektrisches Klavier und nahm Klavierstunden bei einem charmanten jungen Mann, der ihn verführen wollte, und den Andrea lachend zurückwies, aber die Stunden nicht abbrach, weil der Kampf mit dem Verführer die langweiligen Klavierstunden auflockerte.
Federico durfte nicht tanzen. Oper, Ballett, Theater… alles Dekadente war ihm verboten. Als seine Schulklasse ein Theaterstück aufführte, durfte er nur einen Baum spielen, obwohl seine Mitschüler ihn als Schneewittchen vorschlugen. Als seine Eltern erfuhren, dass die Bäume mittanzten, verboten sie ihm die Teilnahme ganz.
Sobald etwas Federico ein Lächeln aufs Gesicht zauberte, hiess es Federico! und weg war die Freude. War nicht Unbeherrschtheit der Anfang des Untergangs? Federicos Eltern kauften ihm Flanellhosen mit Bundfalten und dunkelblaue lambswool Pullover zu hellblauen Hemden. Federico trug rotbraune Mokassins, doch was er auch anzog, er wirkte wie ein als Junge verkleidetes Mädchen. Die konservativen Kleider betonten die Zartheit seiner Gesichtszüge.
Dass Federico von Andrea schwimmen lernte, mit ihm am Strand rannte, Fahrrad fuhr, Ball spielte; die Hoffnung, dass Federico von Andrea lernen würde, eine Junge zu sein, erlaubte ihnen Jahr für Jahr, die Ferien miteinander zu verbringen; nebeneinander in den unbequemen alten Ehebetten zu schlafen. Federicos Eltern waren überzeugt, dass Andrea ein gesunder Junge sei und solange die beiden im gleichen Zimmer schliefen, Federico sich gewissen morbiden Gewohnheiten nicht hingeben würde.
Für Andrea enthielt das Jahr eine Saison absoluten Glückes und drei Jahreszeiten, wo er sich nach Federico sehnte. Auf dem Schulweg schrieben sie sich kleine unverfängliche Nachrichten, weil Federicos Telefon kontrolliert wurde, wie geht es dir? hast du gegessen? hast du viele Hausaufgaben? alles hiess ich denke an dich.
Wie das Jahr für Federico ausgesehen hatte, erfuhr Andrea in den Sommerferien. Jedes Jahr wurde die Liste der Dinge länger, die Mamma Papa und Andrea warnten, vor Federicos Eltern nicht zu erwähnen. Andrea war am Strand populär; männlich zu sein, strengte ihn nicht an. Er genoss, mit Federico Tennis zu spielen. Als es Federico irritierte, dass Andreas phone viele Selfies mit hübschen Mädchen enthielt, sagte Andrea, "ich mache mir nichts aus girls."
Andrea wusste, dass das Federicos Eltern nicht wissen durften. Andrea spielte in der Fussball-Juniorenmannschaft. Sein Vater war Monza-Fan; aber Andrea spielte vor allem, damit Federicos Eltern weiterhin hofften, Andreas Männlichkeit färbe auf Federico ab. In San Vincenzo verhielt sich Andrea betont macho, weil es Federicos Eltern beeindruckte (und Federico zum Lachen reizte).
In den Ferien wurde Andrea von seiner Mutter aufgetragen, Federico zu sagen, dass er bei Andreas Familie in Mailand immer willkommen sei. Andreas Mutter lud Federico ein, in den Herbstferien zu ihnen nach Monza zu kommen. Ohne Vorwarnung kauften Andreas Eltern ihm ein IKEA-Stockbett. Als Andrea begriff, was seine Mutter meinte, konnte er nicht mehr schlafen. Sobald er einige Tage schulfrei hatte, reiste er mit dem Zug nach Pisa, Federico zu besuchen.
Federicos Eltern bewohnten ein ganzes Stockwerk des alten Mehrfamilienhauses der Grossmutter, neun oder zehn Zimmer, die frühere Wohnung der Grosseltern. Alte Möbel, alte Bilder, als wagten Federicos Eltern nicht, Möbel oder Bilder umzustellen, solange die Grossmutter lebte. Federicos Vater war Notar und verwaltete das Haus. Geld war unausgesprochen wichtig für Federicos Eltern. Federicos Zimmer war vorbildlich aufgeräumt. Kein Buch, das nicht ein Schulbuch war oder ein teures Bilderbuch über Tiere oder Länder.
Andrea schlief im Gästezimmer. Über dem Bett in einem vergoldeten schwarzen Lackrahmen eine alte Fotografie der Grosseltern zusammen mit der russischen Grossfürstin in San Vincenzo, alle in Weiss.
Federico lud Andrea zu einem Spaziergang ein. Sie gingen in den Park, setzten sich auf eine Mauer, unter ihnen bewegte sich das Wasser des Flusses träge; es war warm, aber nicht heiss. Andreas Handrücken berührte Federicos Handrücken auf dem sonnenwarmen Stein der Mauer. Andrea fragte, "wie geht es dir?"
Federico begann zu weinen, "schlecht."
"Was ist los?"
"Alles ist in Ordnung. Ich will dir nicht auf die Nerven gehen mit meinen Problemen. Verzeih mir!"
Sie waren beide fünfzehn, Andrea war in Monza ein guter Schüler; Federico rahmte in Pisa Preise ab. Sie sprachen über ihre Schulen und wussten, dass ihre Schulen nicht waren, worüber sie sprechen wollten. Endlich fragte Federico, "stört dich auch, dass ich so bin?"
"Dass du wie bist?"
"Wie ein Mädchen?"
"Du bist immer so gewesen, es hat mich nie gestört. Ich habe dich gern, wie du bist…"
"Ich bin nicht normal."
"Niemand ist normal. Mir gefällst du wie du bist. Ich finde dich sexy… Entschuldigung!"
Beide wurden rot.
"Was willst du sagen?"
"Sprechen wir über etwas anderes!", sagte Andrea, "kommst du in den Herbstferien zu uns?"
"Hast du eine Verlobte?"
"Ich bin verliebt."
"In wen?"
"Schau mir in die Augen!" Andrea nahm seine Sonnenbrille ab, "wen siehst du?... Komm näher!"
Andrea küsste Federico.
Federico sagte, "bist du wahnsinnig? wenn uns jemand sieht!"
"Entschuldigung, bist du mir jetzt böse?"
Federico begann wieder zu weinen.
"Was ist? Habe ich dich verletzt?"
"Bist du verrückt; ich denke jeden Tag an dich."
Wie durch ein Wunder einigten sich Federicos und Andreas Mütter, dass Federico die Herbstferien bei Andrea verbringen durfte. Beide zählten die Tage. Endlich sind die zwei Jungen in dem kleinen Kinderzimmer der bescheidenen Wohnung von Andreas Eltern in Monza. Ikea Stockbett, Stuhl, eintüriger Schrank, Tischlampe, Milchglas-Deckenlampe, Lampe zum Lesen auf dem Bett an das Stockbett angeklammert.
Am ersten Abend, kaum sind sie nach dem Abendessen in Andreas Zimmer, schliesst Andrea die Türe ab.
"Warum schliesst du die Türe ab? Was wird deine Mutter sagen, wenn Sie es merkt."
"Meine Mutter hat es mir erlaubt; stört es dich? Meine Mutter sagte, in deinem Alter brauchst du mehr privacy.'"
Andrea will sagen, damit ihn seine Mutter nicht beim Onanieren überrascht. Doch Andrea sagt es nicht, weil er nicht weiss, ob Federico auch onaniert. Federico hat noch nie was angedeutet. Auch nicht, wenn Andrea in San Vincenzo nachts aufstand, um trockene Boxershorts anzuziehen.
Federico beginnt zu heulen (wie ein Mädchen), "du hast Glück mit deinen Eltern! Ich darf nichts zu Hause. Immer heisst es, benimm dich endlich wie ein Junge! "
Dass Federico heult, erlaubt Andrea, einen Arm um Federico zu legen. Er weiss, dass er Federico liebt, und will nicht, dass Federico spürt, wie er ihn liebt. Andrea möchte Federico küssen, doch er hält sich zurück.
Andrea überlegt sich, ob sie zu zweit in dem Zimmer leben könnten, schon mit dem kleinen alten Bett ist in dem Zimmer kaum noch Platz, den Stuhl zu bewegen. Der eintürige Schrank ist vollgestopft mit Andreas Sommer- und Winterkleidern. Können sie sich in die Kleider teilen, jeder des anderen Kleider tragen? doch Federico ist kleiner, dünner, trägt kleinere Schuhe. Sie werden, beschliesst Andrea, das obere Bett für Federicos Sachen brauchen und zusammen im unteren Bett schlafen.
Federico sagt, "Entschuldigung, nerve ich Dich?"
"Nein, überhaupt nicht. Du bist mir noch nie auf die Nerven gegangen." Ist das wahr? Andrea versucht sich zu erinnern. Haben sie sich mal gestritten? Als sie klein waren? Andrea erinnert sich nur, dass er Federico immer beschützen wollte.
Federico fragt Andrea, "hat deine Mutter gesagt, du sollst dir nichts anmerken lassen?"
Hat Andreas Mutter das je gesagt? Will seine Mutter, dass er Federico beschützt? Ahnt seine Mutter, dass er in Federico verliebt ist? Meint sie, er wisse es noch nicht? Andrea möchte mit seiner Mutter darüber sprechen, doch was, wenn es kein Zurück gibt?
"Was nicht anmerken lassen?" Dass du bist, wie du bist? Habe ich nicht schon im Kindergarten verstanden, dass du meine Schwester bist… und dass man das nicht sagen darf?
"Dass ich eine Schwuchtel bin."
Federico sagt checca, was schlimmer ist als schwul, ein effeminierter Mann. Andrea fragt sich, hat mich das je gestört? War Federico nicht schon immer so? Federico ist intelligent, brillant, witzig. Mit Federico langweilt sich Andrea nie.
"Für mich bist du Federico und mein bester Freund und alles andere ist mir egal." Andrea trocknet ihm die Tränen ab und umarmt Federico.
"Bist du mir böse, wenn ich mich umbringe?"
Andrea hat Tränen in den Augen, "bist du wahnsinnig! Versprich mir, dass du dich nicht umbringst! Was muss ich tun, damit du dich nicht umbringst? Was willst du von mir?" Andrea denkt an Sex, weil was er sagt, nach Sex tönt, doch er weiss, Federico denkt nicht an Sex. Andrea möchte Federico nie mehr loslassen.
"Von dir? Nichts? du weisst nicht, wie ich lebe. Jeder Tag ist die Hölle, zuhause, in der Schule, alle machen mich fertig. Meine Eltern sind erst zufrieden, wenn ich tot bin. Mein Vater sagt, dass sie sich in der Gemeinde schämen wegen mir. Die Leute redeten über mich."
"Soll ich meine Eltern fragen, ob du hier mit uns leben darfst und mit mir ins Liceo gehen kannst? Versprichst du mir dann, dass du dich nicht umbringst?"
"Glaubst du, meine Eltern erlauben es?"
"Soll ich meine Mutter fragen?" Andrea weiss, dass seine Mutter einverstanden ist; sie sieht die Katastrophe seit Jahren kommen.
"In deine Schule? Ist dir nicht peinlich, wenn sich alle über mich lustig machen?"
"Niemand wird sich über meinen Bruder lustig machen, keine Sorge!" Andrea freut sich schon, einen Dummkopf zu verprügeln, dem ein falsches Wort aus dem Maul rutscht.
"Meine Eltern sind nicht einverstanden, weil sie finden, deine Mutter habe zuviel Verständnis für mich. Es ist sinnlos! danke, dass du mir helfen willst!"
"Zweitens… ich habe meine Mutter und meinen Vater gefragt… Du kannst immer, zu jeder Zeit, tags oder nachts, hierherkommen, wenn du es nicht mehr aushältst. Egal, was deine Eltern sagen, hier bist du sicher…, wenn nötig werde ich mit dir irgendwohin abhauen, wo du sicher bist. Du kennst meine Eltern nur von der lieben Seite. Sie können auch kantig sein und sind hundertprozentig auf deiner Seite. Verstehst du, was ich meine?"
Federico heult, "wohin können wir gehen, wo sie mich nicht finden?"
Andrea denkt, nach San Vincenzo, weil er weiss, dass die Grossmutter auf ihrer Seite ist, aber er weiss auch, dass das Federico nicht genügt. Andrea küsst Federico. Weinende darf man küssen, nicht wahr?
"Bevor du dich umbringst, kommst du hierher. Du kannst in meinem Zimmer wohnen. Ich bin ein Scheisskerl, aber ich bin dein Freund, 100%."
"Du bist kein Scheisskerl!"
"Logisch bin ich ein Scheisskerl! Lassen wir das! Sollen wir schlafen gehen. Können wir schlafen, wie wir in San Vincenzo schlafen?"
"Hast du Angst, dass ich mich umbringe, wenn du nicht bei mir schläfst?"
"Nein… für mich bist du mein kleiner Bruder. Ich möchte immer wie in San Vincenzo schlafen…"
"Das sagst du, aber wirklich denkst du, ich sei deine kleine Schwester. Das hast du mir mal selbst gesagt, erinnerst du dich?"
"Und du? Hast du mir nicht versprochen, du würdest mich heiraten, wenn du gross bist?"
"Ich habe gedacht, du hättest das längst vergessen. Ich wusste nicht, dass zwei Jungen nicht heiraten können."
"Zwei Jungen dürfen heiraten!" Andrea wirft sich vor Federico auf die Knie, "Federico, willst du mich heiraten?"
"Mach dich nicht lustig über mich. Meine Eltern haben mich fertiggemacht, als ich sagte, du und ich würden später heiraten. Du bist ein Junge! Sie halten mich für geisteskrank."
"Ich habe mir vorgestellt, dass wir zusammen Kinder hätten; ich bin der Vater, du bist die Mutter. Wir wohnen in San Vincenzo im Haus der Nonna. Ich bin Arzt und du kochst für uns alle."
"Ich kann nicht kochen."
"Dann stellen wir eine Filipina an. Wieviele Kinder willst du?"
"Meine Mutter sagt jeden Tag, sie schämten sich wegen mir."
"Weil du nicht kochen kannst? Warum hat sie es dir nicht beigebracht? … Was anderes… Hast du dich schon mal als Mädchen angezogen?" Andrea kitzelt Federico.
"Mein Vater würde mich totschlagen, ohne Witz."
"Mach es besser nicht. Wenn ich nur daran denke…" Federico in einem Hochzeitskleid aus weissem Tüll ist, was Andrea sich beim Onanieren vorstellt.
"Wenn du nur daran denkst, dann was?"
Andrea wird rot, "Entschuldigung, ich schäme mich…"
Andrea und Federico schlafen aneinandergeschmiegt. Federico schläft, Andrea schläft nicht, sondern horcht auf Federicos Atemzüge, aus Angst Federico im Schlaf zu stören. Andrea verleugnet seine Begierde so bedenkenlos, dass der Schmerz, den er empfindet, ihm wie Lust ist, weil er für Federico leidet. Für Andrea ist gut, was für Federico gut ist.
Federicos Eltern schneiden den Riemen mit dem kleinen Schloss von Federicos Tagebuch durch. Sie lesen, dass Federico schwul ist und Andrea liebt, und Angst hat, was passiert, wenn Andrea erfährt, dass Federico in ihn verliebt ist. Dass er plant, sich umzubringen. Sie rasen mit dem Auto von Pisa nach Monza, um Federico sofort nach Hause zu holen.
Federicos Mutter sagt zu Andreas Mutter, "für mich steht Jesus Christus an erster Stelle. Alles verstehen heisst alles verzeihen."
Federico: "Ich bleibe hier oder ich springe aus dem Fenster."
Andreas Mutter sagt, "zwei Jungen, ich sehe das oft in meinem Sprechzimmer…"
Andreas Vater kommt dazu und spricht mit Federicos Eltern als Arzt; er hätte das schon in vielen Familien gesehen, dass es ein Schock sei für die Eltern, wenn sie herausfinden, dass ein Sohn oder eine Tochter homosexuell ist. Obwohl Andreas Eltern nichts mehr glauben, sind sie, und mit ihnen auch Andrea, verantwortungsvoll, pflichtbewusst, ehrlich, Waldenser in allem ausser im Glauben, den sie durch eine humanistische Nächstenliebe ersetzt hatten. Humanistisch ist das falsche Wort, denn ihr umanesimo ist ein mensch-zentriertes Weltbild, das kein Gegenstück nördlich der Alpen hat.
Federicos Mutter sagt, "er ist ein Monster. Homosexualität ist ein Greuel."
Federicos Vater: "Federico ist nicht mehr unser Sohn. Macht mit ihm, was ihr wollte; wir wollen ihn nie wieder sehen."
Andreas Mutter klopft an die Türe des Kinderzimmers, "darf ich [reinkommen]?"
Federico steht auf und bietet ihr den einzigen Stuhl an. Er steht ans offene Fenster. Andrea liegt auf dem unteren Bett.
Andreas Mutter sagt, "sie sind gegangen, [zu Federico] du bleibst hier."
Andrea: "Gute Nachricht!"
Federico [weinend]: "Bis Ende Ferien?"
Andreas Mutter: "Solange du willst. Sie wollen dich nicht mehr sehen."
Andrea: "Supergute Nachricht!"
Federico: "Ich glaube es nicht."
Andreas Mutter: "Du bleibst hier, für Paolo (Andreas Vater) und mich bist du ein zweiter Sohn…"
Andrea: "Oder eine Tochter…"
Andreas Mutter: "Halt den Mund!"
Federico: "Es verletzt mich nicht. Ich weiss, wie er es meint. Ist wahr, dass ich hierbleiben darf?"
Andreas Mutter: "Ja, sicher; du weisst, dass wir dich genauso lieben wie Andrea, schon immer."
Federico [zu Andreas Mutter]: "Wenn es nur wahr wäre. Sicher kommen sie morgen wieder und wollen mich mitnehmen. Ich springe aus dem Fenster, bevor ich nach Pisa zurückgehe."
Andreas Mutter: "Hier springt niemand aus dem Fenster! Du bleibst hier und gehst hier in die Schule und Andrea wird das Maul halten und nett sein mit dir, sonst bekommt er es mit mir zu tun!"
Andreas Mutter umarmt Federico: "Ich wollte schon immer, dass du hier bei uns lebst, wo Andrea dich beschützen kann."
Andrea: "Mamma danke, du bist die beste Mamma der Welt. Goldmedaille, und Papa ist ein Superheld."
Andreas Mutter: "Andere gute Nachricht: Papa wird Professor für Pädiatrie an der [Universität] Milano-Due. … Ich lasse Euch; Ihr habt sicher einiges zu besprechen."
Federico: "Ich fasse es nicht. Es kann nicht wahr sein. Schon als kleines Kind habe ich mir gewünscht immer mit dir zusammen zu sein."
Andrea: "Und ich… bin mit einem Jungen verlobt, der nicht kochen kann."
Federico: "Denkst du das Zimmer ist zu klein für uns zwei?"
Andrea: "Das Zimmer ist viel zu klein, das Bett ist zu schmal, der Schrank reicht nicht in der Breite, und der Tisch…"
Federico: "Du hast recht, wenn du wieder in die Schule gehen musst, reicht der Platz nicht für zwei."
Andrea: ""Das Zimmer ist viel zu klein, das Bett ist zu schmal, der Schrank reicht nicht in der Breite, und der Tisch… für unser Glück. Wenn alles nur halb so gross wäre, würde ich es immer noch mit Freuden mit dir teilen. Ich bin so glücklich… gib mir einen Kuss, damit ich merke, dass ich nicht träume."
Federico [gibt ihm ein Küsschen]: "Meine Schulbücher sind alle in Pisa. Kann ich hier in ein Liceo eintreten?"
Am nächsten Montag schrieb Andrea an die Wandtafel ihres Klassenzimmers… Andrea war Klassensprecher… "Wichtige Mitteilung: Bitte nach der Stunde hierbleiben!"
"Ich habe ein paar gute und schlechte Nachrichten für Euch; wenn Ihr mich nachher nicht mehr als Klassensprecher wollt, so trete ich zurück."
Eine Stimme rief, "die guten Nachrichten zuerst!"
"Also, die gute Nachricht zuerst: Ich bin verlobt und will nächstes Jahr heiraten."
Alle schrien, "bravo, Glückwünsche!"
"Nun die schlechten Nachrichten: Als ich drei oder vier Jahr alt gewesen bin, haben mein cugino und ich uns versprochen, dass wir, wenn wir gross sind, heiraten. Letzte Woche haben seine Eltern ihn rausgeschmissen, weil er eine checca sei; er wohnt jetzt bei uns. Wir lieben uns immer noch… Entschuldigung!" Andrea trocknete die Tränen ab. "Mein cugino wird neu in unsere Klasse eintreten…"
Carlo schrie, "verfluchte Schwule!"
"Wenn ihr mich nicht mehr als Klassensprecher wollt, verstehe ich das. Wer etwas gegen Schwule hat, kann sich über mich lustig machen, soviel er will, aber wer Federico was zuleid tut, den verprügle ich, ist das klar?"
Ein Mädchen stand auf und sagte, "ich freue mich für dich und deinen Verlobten. Wer will das Andrea zurücktritt?"
Carlo streckte auf. Die Mädchen schrien ihn gleich nieder.
Federico war bei den Mädchen sofort populär. Die Jungen warteten ab, aber als eine Lehrerin unser neues Mädchen sagte, lachte nicht einmal Carlo. Was ging es die blöde Kuh an?
Mit Federico in dem kleinen Zimmer zurechtzukommen war schwieriger als Andrea erwartet hatte. Federico war weniger flexibel als Andrea, der sich für beide verantwortlich fühlte und nachts nicht schlief, weil er Federico nicht stören wollte. Eines nachts ging Andrea auf das Sofa schlafen. Seine Eltern sahen ihn schlafen und weckten ihn nicht. Im Halbschlaf hörte er sie Kaffee trinken… sein Vater ging immer vor sieben aus dem Haus… Andrea fühlte sich geborgen; er wusste, dass seine Eltern ihn liebten.
Am Morgen sagte Federico, "in Zukunft schlafe ich auf dem Sofa, damit du schlafen kannst. Bitte nimm keine Rücksicht auf mich!"
Doch Andrea will neben Federico liegen, bis er hört, dass Federico schläft, und am Morgen eine Viertelstunde mit Federico das Bett teilen. Andrea kann sich nur entspannen, wenn er Federico umarmen darf. Wenn Andrea aufsteht, sieht Federico, dass Andrea erregt ist, "ist das wegen mir?"
"Nein, immer am Morgen."
Sie standen schnell auf. Federico überlegte den ganzen Tag und sagte am Abend vor dem Einschlafen, "ich wollte nie etwas machen… "
"Was machen?"
"Sex… ausser mit dir… Ich möchte nur dir gehören, nur dir…"
Andrea schien, dass Federicos Körper neben ihm noch zarter und zerbrechlicher wurde, "ich fürchte, dich zu verletzen… nein, ich meine es nicht so…" Andrea fühlte sich grob und männlich; was konnte er dafür, dass er Federico begehrte? Er nahm Federico in die Arme, so gut es in dem schmalen Bett ging, und küsste ihn.
Federico sagte, "warte, ich zieh mich aus" und strampelte seine Shorts runter.
"Bist du sicher, dass du willst?"
"Was sagen deine Eltern?"
"Sollen wir noch warten?"
"Kannst du noch warten?"
Andreas Zunge fand einen Weg zwischen Federicos Lippen. Sie küssten sich. Andrea liebkoste Federicos nackten Körper und legte sich dann neben Federico auf den Rücken, "für dich kann ich warten, aber nur für dich."
"Ich bin bereit, wenn du bereit bist."
Carlo wurde gleich Federicos Freund. Andrea fragte ihn, "bist du nicht der grosse Schwulenfresser?"
"Federico ist speziell…"
"Und ich?"
"Bist du wirklich schwul?"
"Wir sind verlobt, seit wir drei oder vier Jahre alt waren. Ich liebe ihn."
"Das verstehe ich; aber Sex mit einem Jungen… stösst dich das nicht ab?"
"Wir haben es noch nicht versucht."
"Ich kann es mir nicht vorstellen, oder nur grob, wie eine Vergewaltigung. Wenn du jemand gern hast…"
Erstmals konnten Andrea und Carlo vernünftig miteinander sprechen.
Andrea fragte Federico, "glaubst du, Carlo ist schwul?"
"Logisch… er hat mich gefragt, ob ich eine Frau werden möchte."
"Was hast du geantwortet?"
"Ich müsse dich fragen, was du möchtest."
"Was möchtest du?"
"Was möchtest du?"
"Für mich bist du schön, wie du bist."
"Ich möchte eine schöne Frau sein, um dir zu gefallen."
"Du gefällst mir, wie du bist."
Andrea verstand, dass es Federico mehr bedeutete, als er zu sagen wagte. Andrea fragte sich, ob er Federico immer noch lieben würde als Mädchen. Andrea konnte sich Federico nicht als Frau vorstellen.
"Meine Eltern bringen mich um."
Was bedeutet einen Menschen zu lieben? Liebte Andrea Federico nur, solange er dieser schlanke, mädchenhafte Junge war? Andrea träumt davon, Federico in einem weissen Hochzeitskleid aus Tüll zu umarmen, aber was, wenn Federico einen Busen und eine Vagina hätte? Andrea spürte, dass einen Menschen so zu lieben, wie er ist… seine Mutter würde Federico auch als Frau lieben. Wenn seine Mutter das konnte, konnte Andrea es auch?
Als Andrea und Federico schlafen gingen, sagte Andrea, "erstens, du gefällst mir, so wie du bist. Für mich brauchst du nicht eine Frau zu werden; zweitens, wenn es dir wichtig ist, eine Frau zu werden und als Frau zu leben, werde ich dich nicht weniger lieben."
Federico begann zu weinen, "ich möchte für dich schöner sein, als ich es jetzt bin."
Aber Andrea war nicht sicher, dass er Federico als Frau gleich lieben könnte, wie er Federico als Jungen liebte. Mädchen interessierten ihn nicht. Wie könnte er Federico lieben, wenn Federico… aber darf er das Federico sagen?
Andrea möchte mit seiner Mutter sprechen, aber würde er sie belasten, wenn er etwas sagte? Wie würden Federicos Eltern reagieren? Würden sie Andreas Mutter beschuldigen?
Federico sagte, "ich möchte deine Frau sein."
Andrea küsste ihn. Dass Federico lieber eine Frau wäre, stand zwischen ihnen. Andrea fürchtete, dass ein Chirurg Federicos Körper entstellen würde. Andrea hatte sich nie gewünscht, ein Mädchen zu sein. Wenn ihn ein Mädchen küsste, fühlte er nichts Sexuelles, während… Wenn er Federico küsste, konnte er sich nur mit Mühe zurückhalten. Er schmiegte sich an Federico und umarmte ihn, "bitte, bleib wie du bist. Du bist schön." Andrea fühlte, als würde der Chirurg mit seinem Messer in seinen eigenen Körper schneiden, der Gedanke tat ihm weh.
Andrea spürte, dass er Federico verlor, an etwas, was wie ein Krebs in Federico wuchs. Es gab keine Hilfe; Andrea musste Federico so lieben, wie er war, wie er sein würde. Wie könnte er Federico im Stich lassen, jetzt, wo Federico ihn brauchte?
Federico weinte leise, "verzeih mir!" Hatte er Andrea unglücklich gemacht?
"Du bist schön, wie du bist. Für mich bist du der Schönste."
Federico dreht seinen Kopf und küsste Andrea, der hinter ihm lag, "bitte denk nicht mehr daran, wenn ich dir so gefalle, ist alles gut."
Sie schliefen unruhig. Andrea träumte von Federico… war es Federico? … von einem Jungen, der mal Federico war, mal ein Kamerad aus dem Fussballclub, mal Carlos… trug Andrea im Traum Kleider seiner Mutter? … Andrea wusste es nicht mehr. Das also ist Liebe, dachte er, während er wach neben Federico lag. Wahre Liebe ist nicht, wenn du liebst, was dir gefällt, sondern wenn du liebst, was dir nicht gefällt. Zu lieben, was einem gefällt, kostet nichts; zu lieben, was dir nicht gefällt, ist schwer.
An Federico nagte, dass er spürte, dass er Andrea unter Druck setzte, und nicht nur Andrea; wenn es bekannt würde, würde sich Andreas Mutter schuldig fühlen. Brauchte Federico die Zustimmung seiner Eltern, bis er volljährig war? Besser alles vergessen! War er nicht glücklich, jetzt, wo er jeden Tag mit Andrea zusammen war? Was wollte er mehr?
Andrea hätte gern mit seiner Mutter gesprochen, doch er wusste, auch wenn er nur ganz allgemein darüber zu sprechen versuchen würde, würde seine Mutter sofort verstehen, dass es um Federico ging. Er hätte gern mit einer seiner Freundinnen gesprochen, doch war es nicht wie ein Verrat, mit Dritten darüber zu sprechen?
Als sie ihre Hausaufgaben am Esstisch schrieben, sagte Federico, "verzeih, ich werde alles vergessen, ich will nur noch dir gefallen."
"Du gefällst mir, aber ich will dich so lieben, wie du sein willst." Ihre Hände berührten sich. Andrea flocht seine Finger zwischen Federicos. "Was wünscht du dir auf Weihnachten?"
"Weihnachten? Nichts! Alles, was ich mir wünsche, ist dass du mir verzeihst, dass ich dich unglücklich gemacht habe."
"Du hast mich nicht unglücklich gemacht. Ich will lernen, dich so zu lieben, wie du bist."
"Nein, ich muss lernen, so zu sein, wie ich dir gefalle."
"Nie, du musst dich selbst sein!"
"Für mich ist das Wichtigste, dass du glücklich bist."
Andreas Mutter kam herein, "wird hier gearbeitet?"
Andrea sagte lachend, "wir sprechen über unsere Zukunft…"
"Wenn ihr nicht studiert, habt ihr keine Zukunft."
"Was gibt es zum Abendessen?"
"Pasta-mit-Gemüse-Auflauf."
Andrea zu Federico, "bist du fertig?"
"Ich schon, aber du?"
"Ich brauche noch eine Viertelstunde."
"Ich lese im Zimmer, dann bist du schneller fertig."
Federico war allein im Zimmer. Statt zu lesen, schrieb er Andrea einen Zettel:
Andrea, ich verspreche Dir, dass ich Dich nie wieder unglücklich machen werde. Wenn Du mich nur als Junge lieben kannst, will ich für dich Dein Junge sein. Du bist mein Mann.
Federico legte den Zettel auf Andreas Kopfkissen.
Über Weihnachten fuhren sie nach San Vincenzo… nachdem sicher war, dass Federicos Eltern nicht überraschend auftauchen würden. Grossmutters grosses altes Haus war nur für den Sommer eingerichtet. Zwar stand in jedem Zimmer ein kleiner elektrischer Ofen, doch am Tag war es im Haus kälter als draussen in der Sonne, und nachts war die milde Meerluft nicht kälter, als es im Zimmer war. Andrea und Federico schliefen im gleichen Bett unter einer schweren Wolldecke und einer dicken Steppdecke. Ein Fenster stand offen, weil sie es nicht übers Herz brachten, den Mond, der über das Meer schimmerte, auszuschliessen.
Erst küsste Andrea Federico, dann Federico Andrea. Andrea spürte, dass Federico ihn nicht weniger liebte, als er Federico liebte. Nicht nur das: dass Federico ihn ebenso begehrte, wie er Federico begehrte… Wie kalt es im Zimmer war, spürten sie nicht.
Grossmutter und Andreas Mutter sahen Federico und Andrea an, was geschehen war. Grossmutter und Andreas Mutter sprachen leise miteinander auf der Terrasse, wo sie in Decken eingehüllt Kaffee tranken.
Grossmutter: "Es ist nicht dein Fehler. Sie waren füreinander bestimmt. Ich weiss es seit Jahren. Wenn es nicht zwei Jungen wären, würde sich niemand was denken."
"Raffaela wird mir vorwerfen, dass ich es zugelassen habe."
"Romeo und Julia…"
"Romeo und Giulio; wenn sie glücklich werden, dann komme ich darüber hinweg, was Raffaela denkt."
"Kinder gehören einem nicht. Was sagt Paolo?"
"Paolo arbeitet zuviel; er sieht nur, dass Andrea und Federico gut sind in der Schule, zuhause keine Probleme machen. Er sagt, wir mischen uns nicht ein."
"Glaubst du, wenn ich mich eingemischt hätte, hätte Raffaela einen anderen Mann geheiratet?"
"Vielleicht hätte sie statt einem Notar einen Advokaten geheiratet."
"Genau! Freuen wir uns, dass Andrea und Federico glücklich sind."
"Glaubst du, sie sind glücklich?"
Andrea ging mit der Grossmutter einkaufen. Die meisten Läden waren geschlossen, weil es Winter war. Conad [ein Supermarkt] war offen. Grossmutter gab Andrea die Tasche. Überrascht sah er, dass Grossmutter eine alte Frau war, "wie geht es dir?"
"Dieses Jahr spüre ich, dass ich müde werde. Sprechen wir nicht von mir. Sollen wir nachher bis zum Seemann raus gehen? Ich bin schon lange nicht mehr dort draussen gewesen."
Nach dem Einkauf gingen sie die Mole der Marina bis zum Seemann raus. Andrea schüttete Grossmutter sein Herz aus. Grossmutter würde schweigen, das wusste er. Grossmutter sagte, " Jetzt darfst du nicht an dich denken. Federico braucht dich."
Federico und Andrea spazierten mit nackten Füssen dem Meer entlang. Das Wasser war wärmer als der Wind; in der Sonne war es nicht kalt. Andrea hielt einen Arm um Federicos Schultern, "bist du glücklich?"
"Können wir hier sitzen?" Sie setzten sich nebeneinander auf einen angeschwemmten Baumstamm und trockneten ihre nassen Füsse in der Sonne. "Wäre nicht besser, wenn ich mich umbringe?"
"Sagst du das, weil wir Sex gemacht haben? Dann versuchen wir es nicht wieder."
"Nein, ich meine, ich mache dich unglücklich, deine Mutter unglücklich, meine Eltern unglücklich, allen ginge es besser, wenn ich tot wäre."
"Nein, überhaupt nicht, versteh endlich, dass ich dich gern habe, wie du bist, als Junge, von mir aus auch als Mädchen, kommt es darauf an? Ich bleibe bei dir."
"Ich habe Angst…"
"Wovor?" Andrea legte seinen Arm um Federicos Schultern. "Vertrau mir, ich bin da, um dich zu beschützen."
"Wenn du mich nicht mehr gern hast, was wird dann aus mir? Ohne dich kann ich mir das Leben nicht vorstellen!"
"Ich bleibe bei dir," Andrea küsste Federico.
"Wenn uns jemand sieht…"
"Küssen ist nicht verboten." Er putzte Federico die Tränen ab. "Was muss ich tun, damit du glaubst, dass ich dich liebe?"
"Kommst du mit mir in eine Beratung?"
Andrea stockte, "ja, ich komme mit dir."
Federico weinte, aber hatte kein Taschentuch. Er putzte die Tränen mit dem Ärmel seiner felpa ab.
"Warum weinst du?"
"Weil du mich gern hast, und ich mache dich zum Dank unglücklich."
"Wenn ich morgen einen Unfall habe und im Rollstuhl sitze, würdest du mich dann nicht mehr lieben?"
"Das ist nicht das gleiche, ich bin deine Verlobte, ich muss bei dir bleiben."
"Ich bin dein Verlobter, ich muss bei dir bleiben."
"Und wenn ich ein Mädchen würde?"
Andrea log, "auch wenn du eine Frau wirst. Ich verspreche es dir."
Federico stand auf, "früher hast du gesagt, dass dir Mädchen zuwider sind."
"Also gut, wenn du die Wahrheit wissen willst: Was auch passiert, ich bleibe bei dir. Aber ich weiss nicht, ob du als Frau mich noch sexuell reizen wirst. Ich habe keine Erfahrung. So wie du jetzt bist, gefällst du mir wahnsinnig."
"Bleibst du bei mir?"
"Ich verspreche es."
Sie standen auf und gingen weiter bis zum Hundestrand. Sie setzten sich vor die Hütte. Federico weinte, "bitte lass mich weinen, nachher geht es mir dann besser."
Beim Abendessen erzählte die Grossmutter, als ginge es niemanden besonders an, von Grossvaters Kriegsgefangenschaft, "ich erkannte ihn nicht mehr. Wir mussten uns neu kennenlernen. Ich war eine junge behütete Frau; mein Vater war Offizier. Vom Krieg haben wir in San Vincenzo nicht viel gemerkt. Grossvater hatte fünf Jahr im Gefangenenlager gelitten. Wir sagten, nichts hat sich geändert, aber wir waren uns fremd geworden. Grossvater interessierte sich nur noch für das Geschäft und die Gemeinde; ich hatte zwei Mädchen aufzuziehen. Wir hielten den Anschein aufrecht, doch schliefen nie mehr im gleichen Schlafzimmer."
Andreas Mutter sagte, "es gehört zum Erwachsenwerden zu lernen, dass es viele Formen gibt, sich gern zu haben. Wenn nicht beide Opfer bringen, kann man nicht zusammenleben. Am einfachsten ist es, wie Paolo und ich. Paolo denkt zuerst an seine Patienten, dann an mich und Andrea, an sich zuletzt. Es ist nicht schwer, mit ihm auszukommen."
Andrea sagte, "ich verstehe, was ihr uns sagen wollt, danke!" dann verstand er, dass er wir gesagt hatte; hatte er verraten, dass Federico und er ein Paar waren? Aber wussten Grossmutter und seine Mutter das nicht schon?
Andreas Mutter sagte, "wir möchten, dass ihr glücklich werdet. Grossmutter, Paolo und ich sind auf eurer Seite, bedingungslos."
Weil auch Andrea die Tränen kamen, fragte er lachend, "darf ich jetzt die Braut küssen?" und küsste Federico, der heulte. Alle weinten und lachten gleichzeitig.
Bevor sie schlafen gingen, fragte Andrea Federico, "können wir zusammen duschen? ich wünsche es mir schon lange."
"Erinnerst du dich, als Kinder haben wir zusammen gebadet."
"Logisch erinnere ich mich; schon damals warst du schöner als ich."
"Und als wir nackt getanzt haben, und meine Mutter uns erwischt hat?"
"Ich habe gemeint, ich darf dich nie mehr sehen."
"Meinst du deine Mutter macht sich Sorgen?"
"Ja, aber es gibt keine Hilfe; was passiert ist unser Schicksal. Wir meinten, es ist alles in Butter, und jetzt lernen wir, dass wir Kinder waren und nicht wussten, was das Leben für uns auf Lager hat."
"Komm duschen!"
Andrea wusch Federico die Haare. Dem Geruch frisch gewaschener Haare konnte er nicht widerstehen. Federicos Körper gefiel Andrea. Die Vorstellung, dass dieser Körper entstellt werden könnte, überfiel ihn wie ein Schatten, "du bist so schön, Federico!"
"Ich bin hässlich," Federico fing sich gleich auf, "aber wenn du mich schön findest, dann ist alles gut für mich."
Im Bett wollten sie, weil zuviele Gedanken sie quälten, aneinander geschmiegt einschlafen, doch sie waren zwei gesunde Jungen und die Natur kümmerte sich nicht um ihre zuvielen Gedanken. Sie schliefen versöhnt ein.
Andrea konnte an nichts anderes denken, als wie er seinen Widerwillen gegen Frauen überwinden könnte. Verstand Federico nicht, dass nur Jungen Andrea anzogen?
Federico beschuldigte sich selbst, dass ein Wunsch, der in ihm gewachsen war, jetzt das Wertvollste in seinem Leben, Andreas Liebe, zu zerstören drohte. Würde es Federico reichen, Mädchenkleider zu tragen? Verlangte er mehr von Andrea, als er selbst zu opfern bereit war?
Manuela [Andreas Mutter] warf sich vor, aus gutem Willen eine Situation herbeigeführt zu haben, die sie gegenüber ihrer Schwester und ihrem Schwager nicht vertreten konnte. Sie telefonierte lange mit Paolo, doch er sah das medizinisch-wissenschaftlich-juristisch: cugini können sich heiraten, auch wenn es der katholischen Kirche nicht passt. Paolo war nie Waldenser gewesen.
Die Grossmutter genoss mitleidig, dass ihre Kinder und Grosskinder mit der Unordentlichkeit der Realität zu kämpfen haben, wie sie und ihr Mann damit zu kämpfen hatten. Federico war schon immer ein halbes Mädchen gewesen; dass Federico und Andrea sich liebten, sah sie seit Jahren. Dass Verliebte irgendwann zur Tat schreiten; wen verwundert es? Wozu hatte Manuela Kinderpsychologie studiert?
Andrea fand eine Beratungsstelle in Torre del Lago. Beide hatten schon im Internet Informationen gesucht. Sie fuhren mit der Bahn und gingen dann zu Fuss. In der Beratungsstelle sprach eine freundliche Transfrau mit Federico: Federico brauche die Zustimmung seiner Eltern, weil er noch nicht achtzehn sei. Andrea hätte gern gewusst, was mit Federicos Körper passieren würde. Die Transfrau ging davon aus, dass Andrea Federico begleitete, weil Federico sich allein nicht traute. Dass Andrea Federico so liebte, wie er jetzt war, wollte sie nicht wahrhaben.
Auf dem Rückweg im Bus nach Viareggio sagte Federico, "ich werde meine Eltern nicht fragen, lieber warte ich zwei Jahre."
Andrea war erleichtert, zwei Jahre! Konnte es nicht sein, dass Federico die Sache vergessen würde? Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Federico fasste unsichtbar Andreas Hand, "danke, dass du mitgekommen bist; ich weiss, was du denkst. Bitte habe Geduld mit mir; ich habe nur dich!"
Solange Federico seine Hand hielt, war Andrea glücklich; zwei Jahre!
Wieder zurück in San Vincenzo ging Andrea mit Grossmutter am Winterstrand spazieren. Es war Weihnacht. Nur Grossmutter verstand, was Andrea quälte. Oder nicht einmal sie? Wie konnte er ausdrücken, wie weh ihm tat, dass ein Chirurg mit einem Messer in Federicos Körper schneiden könnte? Die Bilder im Internet entsetzten ihn. Gehörte Federicos Körper Andrea? Andrea liefen die Tränen über das Gesicht. Grossmutter sagte, "das ist was von Lieben kommt!"
"Was meinst du?"
"Was wir lieben verlieren wir und das tut uns weh."
Andrea versuchte zu verstehen, aber dann sahen sie einen Schlafsack auf dem Sand liegen. Jemand schlief dort, oder versuchte dort in der Wintersonne zu schlafen. War es nicht zu kalt? Sicher ein Afrikaner. Grossmutter sagte zu Andrea, "geh schau, gib ihm zwanzig Euro!" Sie gab ihm eine Note.
Andrea ging hin, "hallo?"
Es war ein junger Schwarzer, "sprichst du Französisch?"
Andrea gab ihm die zwanzig Euros.
Andreas Mutter sagte, "es ist zu kalt, draussen zu schlafen."
Andrea: "er spricht Französisch."
Grossmutter konnte Französisch, sie sagte zu dem jungen Afrikaner, "komm mit uns, es ist zu kalt hier draussen."
Joseph schlief lange in dem warmen Bett, das Grossmutter ihm zeigte. Als er aufstand, gaben sie ihm Kleider von Andrea und Federico. Er war aus Senegal, sagte Grossmutter. Ein Student. Seine Haut war schwarz, schwärzer als irgendein Schwarzer den Andrea und Federico je gesehen hatten. Er war gross und dünn. Mit langen Knochen… wie man sagt
Es war Weihnacht. Grossmutter sagte, "Gott hat uns einen Gast geschickt."
Ausgeschlafen, gebadet und frisch angezogen, sah Joseph bürgerlich aus und sprach höflich mit Madame… der Grossmutter. Grossmutter und Andreas Mutter kochten zusammen, "wir machen genug für alle!"
Als es klingelte und Federicos Eltern hereinkamen. Grossmutter sagte zu Andrea und Federico, "geht auf euer Zimmer!"
Die beiden rannten rauf. Andrea sagte, "komm wir gehen raus; es ist besser."
Sie zogen ihre Jacken und Schuhe an und schlichen durch den Hinterausgang ab. Sie gingen den Strand entlang Richtung Dorf. Es war schon dunkel. Im Dorf war die pasticceria noch offen. Sie wärmten sich mit heisser Schokolade auf. Andrea sagte, "im Notfall fahren wir nach Monza."
"Hast du Geld?" Federico weinte.
"Willst du jetzt gleich fahren?"
"Sie wollen mich mitnehmen; ich bin sicher. Wenn sie mich hier nicht finden, dann kommen sie nach Monza." Andrea holte kleine Papierservietten für Federico.
Andrea zog sein Telefon raus. Wen konnte er anrufen? Er schickte seinem Vater eine Message, Bitte ruf mich zurück!
Andrea überlegte sich, seine Tante in Rom anzurufen. Würde Papa zurückrufen?
Endlich rief Papa an, "Fröhliche Weihnachten, alles in Ordnung?"
"Federicos Eltern sind gekommen und Federico hat Panik, dass sie ihn mitnehmen."
"Wollt ihr zurückkommen?"
"Er hat Angst, dass sie nach Monza kommen und ihn mitnehmen wollen. Weisst du einen Ort, wo wir hingehen können, bis…"
"Du meinst, heute?"
"Ja, wenn möglich."
"Ich habe einen Freund in Cecina, der ein grosses Haus hat. Soll ich ihn anrufen? Habt ihr Geld für den Zug? Ich rufe ihn gleich an. Er ist Arzt und Notfälle gewöhnt. Nur einen Augenblick. Wo seid ihr jetzt?"
"In der pasticceria, ich habe fünfzig Euros."
Papas Freund, Alberto, holte sie mit dem Auto ab. Sein Haus war ein podere ausserhalb von Cecina Stadt mit einer Allee und Bauernhäusern daneben. Das Haus hatte viele Zimmer und war kaum geheizt. In einem offenen Kamin brannte ein Feuer. Alberto lebte allein. Andrea und Federico merkten gleich, dass er schwul war. Sie erzählten ihm ihre Geschichte.
"Hier seid ihr sicher. Paolo ist mein bester Freund. Habt ihr schon gegessen?"
Sie gingen in eine pizzeria im Ort. Federico fürchtete, dass jeden Augenblick seine Eltern reinkommen würden. Er zog seine felpa über den Kopf und setzte sich so, dass man vom Eingang sein Gesicht nicht sehen konnte. Alberto sagte zu Andrea lachend, "wenn du so einen schönen fidanzato hast, musst du gut aufpassen, dass er dir nicht gestohlen wird."
Andrea antwortete nichts. Federico sagte korrigierend, "wir sind cugini."
Alberto offerierte ihnen Wein. Andrea trank anstandshalber ein Glas mit. Alberto sprach darüber, was ihm gefiel und von Strichjungen, die er in Livorno aufgabelte. Andrea und Federico sagten ja und nein und hielten den Mund, weil es ihnen peinlich war, über Sex zu sprechen.
Im Auto erzählte Alberto, dass er früher in Livorno in einer Klinik arbeitete, wo er viele Strichjungen und Transsexuelle wegen AIDS behandelte und fragte Andreas und Federico, ob sie Kondome benutzten. Andrea sagte, nein und Federico starb fast vor Scham. Waren Andrea und er nicht ein Paar? Warum mussten sie Kondome benutzen? Wozu?
In seinem Haus zeigt Alfredo ihnen ein grosses kaltes Schlafzimmer und drehte den kleinen Radiator unter dem Fenster auf, "bis morgen wird es warm sein."
Andrea schickte seinen Eltern und der Grossmutter Messages, dass sie in Sicherheit seien. Sie sagten nicht wo, weil sie wussten, dass Andreas Mutter nicht lügen konnte. Besser sie wusste es nicht. Sie fragte auch nicht. Das Bett war kalt; sie schliefen in den Unterhosen und gaben sich gegenseitig warm.
Am anderen Tag öffnete eine lesbische Freundin von Alberto ihren für den Winter geschlossenen Kleiderladen und gab Andrea und Federico Ausverkaufsware in ihren Grössen. Alberto lachte, "das ist die schwule Mafia; wir müssen uns helfen!"
Alberto behandelt sie, als wären sie mit ihm verwandt. Er gab ihnen Geld, damit sie einkaufen konnten, was ihnen fehlte. Seine Scherze über Sex schockierten sie, doch sie fühlten, dass er es gut meinte, nur nicht wusste, was sie verletzte.
Wie in der Beratungsstelle schien Andrea, dass es so viel gab, was Federico und er nicht wussten über das schwule Leben. Strichjungen, Kondome, Aids, Lesben, Transsexuelle. Logisch lasen sie darüber im Internet, doch nie hatten sie gedacht, dass es sie anginge.
Was unterdessen in San Vincenzo passierte, erfuhren Andrea und Federico erst später: Raffaela und Domenico (ihr Mann, der Notar) wollten Federico mitnehmen und in eine Therapie sperren, doch als sie Joseph sahen und dann feststellten, dass Federico mit Andreas abgehauen waren, ging es erst richtig los. Grossmutter sass in ihrem Sessel, Joseph stand hinter Madame, wo er sich am sichersten fühlte. Domenico verlangte, dass Andreas Mutter sofort Andreas anrufe und ihm befehle, Federico zurückzubringen; und dass dieser Kerl, gemeint war Joseph, verschwinde.
Grossmutter: "Setzt euch, wer möchte einen Kaffee?"
Andreas Mutter ging in die Küche und setzte eine grosse caffetiera auf den Gasherd. Grossmutter liebte frische Luft; Stürme machten ihr keine Angst, "Joseph ist unser Weihnachtsgast, den der Herr uns geschickt hat. Brich dem Hungrigen dein Brot und die, so im Elend sind, führe ins Haus; so du einen nackend siehest, so kleide ihn…"
Domenico: "Er wird dir das letzte Hemd vom Leib stehlen."
Grossmutter lachte: "Ich hänge nicht an meinem letzten Hemd. Joseph ist ein Student aus Senegal. Er möchte hier sein Studium abschliessen."
Domenico: "Auf wessen Kosten?"
Grossmutter: "Sprechen wir über Federico…"
Andreas Mutter kam mit dem Kaffee rein. Joseph nahm ihr das Tablett ab, verteilte die Tassen auf dem kleinen Tisch. Andreas Mutter schenkte ein. Domenico wich Joseph aus, weil Joseph einen Kopf grösser war.
Andreas Mutter: "Raffaela, bitte lass Federico bei uns; er ist mit Andrea in der Klasse, alles geht gut."
Raffaela: "Jemand von der Gemeinde hat uns angerufen, dass Andrea in der Schule gesagt habe, er und Federico seien verlobt und würden nächstes Jahr heiraten."
Domenico: "In der Gemeinde lacht man über uns."
Grossmutter: "Dass Andreas und Federico sich lieben, ist keine Sünde."
Domenico: "Es wird nicht bei der geistigen Liebe bleiben, wenn sie beide homosexuell sind. Sie sind verworfen; es wäre besser für sie tot zu sein, bevor sie noch mehr Sünde auf sich laden."
Andreas Mutter: "Federico will sich umbringen…"
Grossmutter: "Trinkt den Kaffee, er wird kalt."
Grossmutter war wütend; sie liebte Federico gerade, weil er war, wie er war. Für Domenico war sie nie warm geworden. Sie mochte Männer nicht, die einen Pullover unter dem Anzug trugen. Sie hatte kein Mitleid mit ihm. Es ging ihm nur um sein Ansehen in der Gemeinde. Sobald Federico nicht mehr der Mustersohn war, auf den man stolz sein konnte, wünschte Domenico, dass Federico sich in Luft auflöse.
Sie tranken Kaffee. Joseph mimte den Kellner und schenkte Kaffee nach. Auf dem Salontisch stand eine silberne Schale mit Weihnachtskonfekt. Grossmutter fragte, "bleibt ihr heute nacht hier?"
Domenico: "Wir gehen in ein Hotel."
Raffaela: "Wir bleiben hier."
Grossmutter: "Hilfst du mir die Betten anziehen."
Grossmutter und Raffaela gingen rauf. Andreas Mutter ging in die Küche, weil sie Domenico nicht aushielt.
Joseph fragte Domenico, "sprechen sie Französisch?"
Joseph hatte in Dakar Recht studiert hatte. Domenico sprach nicht gern Französisch, doch er hatte Ius studiert und Joseph stellte intelligente Fragen.
Andreas Mutter telefonierte in der Küche mit Paolo. Sie kannte Alberto und war beruhigt. Alberto war aus einer reichen Familie, aber hatte lange in Livorno als Sozialarzt gearbeitet, weil er es sich leisten konnte. Andreas Mutter verstand, dass sie sich zurückhalten musste. Domenico glaubte, dass sie einen schlechten Einfluss auf Raffaela habe. Grossmutter würde es richten, denn Domenico wollte es mit Grossmutter nicht verderben; Geld stand auf dem Spiel.
Am nächsten Tag war schon fast alles, wie es jeden Sommer gewesen war. Domenico erklärte Joseph wie das Studium in Italien organisiert ist. Grossmutter, Raffaela und Andreas Mutter gingen am Meer spazieren, obwohl es stürmte. Raffaela versuchte die Haare unter ihrer Mütze zu versorgen, die der Wind ihr ins Gesicht peitschte, "Grossmutter, du hast recht, wir waren stolz und jetzt straft der Herr uns an dem Liebsten, was wir haben, unserem Sohn."
Andreas Mutter umarmte Raffaela. Grossmutter sagte, "das Leben ist ein Abenteuer. Es ist wie beim Segeln, du kannst richtig steuern, aber das Wetter, den Wind und die Strömungen hast du nicht im Griff…. und noch etwas, wenn wir zusammen sind. Wenn ich sterbe, möchte ich kremiert werden. Bitte denkt daran!"
"Mutter, was redest du?"
"Ich muss es euch sagen, solange ich noch am Leben bin. Ich bin müde, wie ich es noch nie war. Nicht im Körper, im Geist."
Raffaela, die ältere Schwester, sagte, "Mutter, du bist zuviel allein!"
"Wenn ihr einverstanden seid, gebe ich Raffaela das Haus in Pisa und Manuela das Haus hier und die Wertschriften."
"Das hat doch noch Zeit."
"Raffaela versprich mir, dass du Federico seinen Weg gehen lässt; du wirst sehen: Federico hat einen guten Kern. Domenico braucht Zeit, bis er Federico versteht."
Raffaela: "Wollen sie wirklich heiraten?"
Manuela: "Mir haben sie nichts gesagt. Federico schläft in Andreas Bett; Andrea schläft meistens auf dem Sofa."
Grossmutter: "Der Mensch ist aus Dreck gemacht und wird wieder zu Dreck. Wer sich die Finger nicht schmutzig machen will, dem macht das Leben sie schmutzig. Grossvater und ich… über vieles haben wir erst sprechen können, als er schon krank war."
War alles wieder gut? Alberto schenkte Andrea und Federico Kondome, Gleitmittel und eine Broschüre über AIDS. Andrea versuchte zu erklären, dass sie schon verlobt sind, seit sie klein waren, "alles ist neu für uns; bitte entschuldige!"
Alberto genoss, die beiden im Haus zu haben. Als Raffaela und Domenico abgereist waren, kam Paolo nach Cecina, um Federico und Andrea zu holen. Alberto und Paolo waren glücklich, sich zu sehen und küssten sich. Andreas sah, dass sein Vater und Alberto wie Studenten rumalberten, aber auch, dass für seinen Vater selbstverständlich war, dass Alberto schwul war… wie Andrea und Federico. Sie fuhren alle zusammen nach San Vincenzo, weil Alberto Grossmutter besuchen wollte. Andrea fiel auf, dass sein Vater Federico und ihn nun als Paar behandelte.
Andreas Mutter wollte Andrea fragen, ob die Geschichte mit der Heirat nächstes Jahr stimme, aber sie wollte zuerst mit Paolo darüber sprechen. Sie fragte Alberto, ob er mit ihr an den Strand komme für ein paar Schritte.
Alberto fragte, "wo hat Grossmutter diesen hübschen Schwarzen aufgetrieben? Ich bin froh, dass sie nicht allein ist."
Manuela: "Wir haben ihn an Weihnachten am Strand gefunden. Er hat in einem Schlafsack im Sand geschlafen, aber jetzt ist es viel zu kalt, draussen zu schlafen."
Alberto: "Ich habe immer Pech. Ich finde immer nur leere Muscheln."
Manuela: "Wie bist du mit den beiden Jungen klargekommen?"
Alberto lachte. "Sie werden mir fehlen."
Manuela: "Am Montag müssen sie wieder in die Schule."
Alberto: "Andrea liebt Federico und Federico liebt Andrea. So romantisch! Ich beneide sie. Ich wünschte mir so eine Freundschaft, als ich in ihrem Alter war."
Manuela: "Und jetzt?"
Alberto: "Ich arbeite zuviel; es ist schwierig eine Beziehung aufrechtzuerhalten, wenn man nie Zeit hat. Du und Paolo habt Glück. Weisst du, wer mir gefällt?"
Manuela: "Joseph… ich habe es gleich gemerkt."
Alberto: "Wenn Grossmutter ihn nicht mehr will, kann er zu mir ziehen… im Ernst!"
Manuela: "Er spricht nur französisch. Ich glaube, Grossmutter möchte nicht mehr allein sein."
Alberto: "Ich kann Französisch. Ich werde sie jede Woche besuchen."
Manuela: "Was anderes… ist zwischen Federico und Andrea alles in Ordnung?"
Alberto: "Es ist ihre erste Liebe… sie haben Kummer… sie wissen noch nicht, wie gewöhnlich und billig das Leben ist. Entschuldige…"
Manuela: "Ich verstehe, was du meinst, aber ist nicht gerade die gewöhnliche und billige Liebe, die wirkliche Liebe: Wenn du jemanden liebst, weil er dir jeden Tag das Leben ein bisschen leichter macht."
Andrea und Federico lagen zusammen in einem Bett, zugedeckt, denn es war kalt. Andrea sagte, "meine Mutter hat mich gefragt, ob es stimme, dass wir nächstes Jahr heiraten wollen."
Federico: "Was hast du geantwortet."
Andrea: "Die Wahrheit."
Federico: "Was ist die Wahrheit?"
Andrea: "Dass ich dich heiraten will, aber nicht sicher bin, ob du auch willst."
Federico: "Ich will auch. Bitte vergiss alles, worüber wir gesprochen haben. Es kommt nicht darauf, was ich möchte. Ich gehöre dir; in Zukunft kommt es nur darauf an, was du willst."
Andrea umarmte und küsste Federico, "dann heiraten wir, sobald wir beide achtzehn sind?"
Federico: "Logisch… meinst du Joseph ist schwul?"
Andrea: "Jetzt, wenn du es sagst… gefällt er dir?"
Federico: "Er ist hübsch… aber ich habe ihn nicht so angeschaut…"
Andrea: "Wie?"
Federico: "Wie ich dich anschaue… mir gefällt, wie er Grossmutter hilft, als wäre sie seine Mutter… er ist cool…"
Andrea: "Bin ich nicht cool?"
Federico: "Du? cool? Sollen wir schlafen? Du bist ein Vesuv."
Andrea küsste Federico stürmisch. Schliefen sie bald ein?
Am nächsten Tag spielten Andrea und Joseph vierhändig auf dem alten Flügel der Grossmutter. Federico sass daneben und tat, als ob er etwas in seinem Telefon lesen würde. Andrea und Joseph kommunizierten mit Google Translator auf Andreas Telefon. Sie spielten einfache Stücke ab Blatt. Joseph spielte besser als Andrea, freier. Andrea klebte an den Noten, Joseph spielte Verzierungen, die nicht auf dem Blatt standen, sang mit und forderte Federico auf mitzusingen. Federico traute sich nicht. Er wusste, dass er eifersüchtig war. Er möchte neben Andrea sitzen und zusammen mit Andrea spielen, aber er konnte nicht spielen. Gefiel Joseph Andrea? Wenn Joseph aufstand, um Grossmutter zu helfen, bewegte er sich anders im Raum als ein Italiener. Joseph schien den Raum zu beherrschen… wie ein Balletttänzer?
Vor dem Einschlafen sagte Federico, "heute hast du mich eifersüchtig gemacht!"
Andreas: "Wegen Joseph?"
Federico: "Gefällt er dir besser als ich?"
Andreas: "Du gehörst zu mir; bitte sei nicht eifersüchtig; ich spiele nie mehr mit ihm."
Federico: "Nein, ich muss lernen, nicht eifersüchtig zu sein. Ich hätte mitsingen sollen; es ist mein Fehler."
Andreas: "Wenn du mit Carlo sprichst, werde ich auch eifersüchtig…"
Federico: "Du sprichst mehr mit Carlo als ich…"
Andreas: "In Zukunft spreche ich nur noch mit dir…"
Federico: "Nein, wir müssen lernen nicht eifersüchtig zu sein…"
Andreas küsste Federico, "ich liebe nur dich; ich habe immer nur dich geliebt; in meinem Herzen bist nur du!"
Federico weinte, "wenn ich dich mit einem anderen Jungen sehe, stelle ich mir vor, dass er dir besser gefällt, weil ich nicht schön genug bin für dich."
Andreas: "Für mich bist du der Schönste…"
Wieder in Monza gingen sie zur Schule wie vorher. Sie waren glücklich, jede Nacht zusammen einzuschlafen, auch wenn Andrea später aufs Sofa schlafen ging, weil er Federico nicht stören wollte. Sie waren das einzige Paar in der Schule, das schon zusammenlebte. Andrea wünschte sich Federico in einem weissen Hochzeitskleid aus Tüll; Federico versuchte, für Andreas jeden Tag schöner zu sein. Paolo gab beiden Jungen Taschengeld. Andrea kaufte mit Federico Make-up, Lippenstifte, Wimperntusche. Federico veränderte sich von Woche zu Woche. Er lernte sich zu schminken… Er wurde schöner und femininer. Manchmal fühlte Andrea sich auf dem Schulweg ausgestellt, dann sagte er sich, er ist mein Freund, und biss die Zähne zusammen.
In den Frühlingsferien fuhren Andrea und Federico mit dem Zug zur Grossmutter. In Andreas kleinem Rollkoffer lag ein Hochzeitskleid, das sie in Monza im Ausverkauf gekauft und nach Hause geschmuggelt hatten. Es in Monza anzuprobieren, hatten sie sich nicht getraut. Was würde Andreas Mutter sagen, wenn sie es sähe? Was würde Grossmutter sagen? Andrea fühlte sich schlecht, vor seiner Mutter ein Geheimnis zu haben, aber war nicht schon, dass er schwul war, ein Geheimnis gewesen, und jetzt, dass er und Federico… Warum war das Leben so kompliziert? Warum fühlte Andrea nichts für Mädchen? Warum wollte Federico ein Mädchen sein?
Im Zug hatte es Jungen und Mädchen mit Ohrringen und Piercings, geschlitzten schwarzen Jeans und gefärbten Haaren, schlanke Schwarze mit riesigen felpas… Andrea erwischte sich, dass er sie ansah. Was würde Federico denken, wenn er es merkte? Andrea dachte an seine Fussballkameraden in der Dusche… Er war verlobt! Würden sie Joseph wiedersehen?
In San Vincenzo war es warm. Vom Bahnhof gingen Andreas und Federico zu Fuss zur Villa. Vor dem Eingang war Albertos SUV parkiert. Grossmutter küsste Federico und Andrea. Hinter Grossmutter stand Joseph, der lachte. Neben Joseph stand Alberto. Im Haus war es kühl, draussen ging die Sonne unter. Bald sassen sie alle im Esszimmer. Die grosse Neuigkeit war, dass Alberto und Joseph ein Paar waren und in der Villa schliefen, weil Grossmutter nicht mehr allein sein wollte. Andrea und Federico waren hungrig und müde nach der Bahnfahrt, aber noch mehr gespannt, das Hochzeitskleid auszupacken. Alberto und Joseph sprachen Französisch miteinander. Andrea verstand, was Alberto an Joseph gefiel. Joseph war ruhig, aber wenn er sprach, lachte er und zeigte gesunde weisse Zähne. Jetzt, wo Joseph sich ein paar Monate erholt hatte, war sein schwarzes Gesicht entspannt. Er verwöhnte Grossmutter und Alberto lächelnd, machte Federico und Andrea Komplimente in gebrochenem Italienisch. Joseph brachte die penne all'arrabbiata aus der Küche und Grossmutter verteilte das Essen. Federico und Andrea waren die Kinder am Tisch, die man beschützen musste. Bald hiess es, "seid ihr müde?" und Andrea und Federico gingen hinauf.
Federico sagte halb verzweifelt, "sie wissen alles!"
"Wissen was?"
"Das wir Sex haben…"
"Logisch, wir sind zusammen. Wenn man zusammen ist, hat man auch Sex."
"Was wenn meine Eltern es erfahren?"
"Ich glaube, sie wissen es schon." Andrea öffnete den Reisverschluss des Rollkoffers. "Sollen wir zusammen duschen?"
"Ich schäme mich."
"Warum?"
"Bist du sicher, dass es richtig ist? Glaubst du, Alberto und Joseph…"
"Bestimmt…"
"Und Grossmutter weiss es?"
"Alberto schläft bei Joseph."
"Was meinst du, was sie machen?" Federico bekam einen roten Kopf, "Entschuldigung!"
Andrea lachte, "ich frage sie morgen, dass du es wissen möchtest."
"Ja nicht, bitte! Wenn sie Kondome brauchen, heisst das…"
"Ich habe sie mitgenommen. Komm wir duschen!"
Andrea war grösser als Federico, breiter und stärker. Andrea genoss, dass Federico in der Dusche ihm gehörte. Andrea konnte mit Federicos nassem Körper machen, was er wollte. Federico hatte keinen eigenen Willen mehr; er wollte nur noch Andrea gehören.
Das Hochzeitskleid bestand aus einem elastischen Oberteil aus Polyester-Spitze und einem angenähten mehrlagigen Tüllrock. Kaum hatte Federico es angezogen, umarmte und küsste ihn Andrea. Federico schaute sich im Spiegel des grossen alten Kleiderschrankes an. Andrea stand nackt hinter ihm und umarmte ihn. Federico fragte Andrea, "findest du mich schön?"
Andrea küsste ihn, "ja, du bist schön; bitte leg dich auf das Bett. So habe ich mir dich vorgestellt."
Federico legte sich auf das Bett. Andrea schaltete das Deckenlicht aus. Er zitterte, "du bist schöner, als ich mir vorgestellt habe.
Wollte Andrea Federico vergewaltigen? Andrea warf sich auf Federico, "bitte tu nichts!"
Federico lag in sich gefangen mit geschlossenen Augen auf dem Bett; er wollte, dass Andrea mit ihm mache, was er wolle.
Andrea hatte sich die Szene zu oft vorgestellt; er küsste Federico grob, "du bist schön!"
…
Nachher lagen sie nebeneinander. Andrea sagte, "Entschuldigung, ich bin grob gewesen."
"Du musst mit mir machen, was du willst. Ich bin deine Verlobte!"
Andrea küsste Federico zärtlich auf die Lippen und die Augen, "ich habe mir das gewünscht; ich weiss nicht wie lange. Du bist so schön!"
Mit Alberto und Joseph fuhren sie nach Piombino. Zwei schwule Paare: es gab keinen Grund mehr zur Eifersucht. Plötzlich schien Schwulsein selbstverständlich. Sie zeigten sich hübsche junge Männer auf der Strasse und machten viele Selfies auf der Stadtmauer.
Am nächsten Tag fragte Andrea Alberto, ob sie mal allein miteinander sprechen könnten. Alberto lud Andrea ein, ihn nach Cecina zu begleiten, wo Alberto eine Kranke zu besuchen hatte. Auf dem Hin- und Rückweg konnten sie miteinander sprechen, ohne das Alberto sah, wenn Andreas sich schämte. Andrea war der Mann, er musste sich überwinden. Die peinlichsten Fragen waren die einfachsten zum Beantworten. Aber dann wollte Andrea wissen, warum wird man schwul? und warum will ein Junge ein Mädchen werden?
Alberto sagte, "es ist komplex… wie hast du gemerkt, dass du schwul bist?"
"Ich habe gespürt, dass ich anders bin. Ich habe mich in Jungen verliebt; Bilder mit hübschen Jungen gefielen mir; Mädchen haben mich nie interessiert…"
"Mir ging es genauso. Mehr weiss die Medizin auch nicht. Will Federico ein Mädchen werden?"
"Er glaubt, er würde mir als Frau besser gefallen, aber er gefällt mir als Junge. Ich will nicht, dass er eine Frau wird."
"Nimmt er schon Hormonpräparate?"
"Nein, seine Eltern würden es nie erlauben."
"Es gibt keine Hilfe. Es ist wie Schwulsein: Es lässt sich nicht unterdrücken. Du kannst nur versuchen, ihn zu lieben, wie er ist."
"Aber ich will kein Mädchen heiraten!"
Joseph spielte auf dem Flügel Grossmutters Sonatensammlung und Schlager aus den fünfziger Jahren. Er konnte gut singen. Grossmutter sass dabei und sang leise mit. Joseph sagte zu Andrea mon petit frère und zu Federico ma petite sœur… Joseph sagte es so liebevoll, dass Andrea und Federico verstanden, dass Joseph es gut meinte mit ihnen und ihre Beziehung respektierte, mehr als Alberto, der ihnen helfen wollte, aber sie gleichzeitig verletzte.
Nachdem Andrea und Federico längst abgereist waren, schickte Grossmutter Joseph in Federico und Andreas Schlafzimmer auf der Suche nach Kissenanzügen. Joseph fand den Karton mit dem Hochzeitskleid, das noch nach Federicos Parfüm roch. Joseph lachte und legte die Schachtel unter, was noch in der Schublade lag, Kinderkleider von Andrea und Federico, alte Pullover, dünne Wolldecken aus dem zweiten Weltkrieg. Federico hatte recht, Joseph war cool; er sagte niemandem ein Wort über das Brautkleid.
Auf das Brautkleid folgten andere Kleider. Andrea fragte sich, warum ihn selbst Federico in Frauenkleidern erregte und was die Kleider Federico bedeuteten. Die Antwort auf alle Fragen schien dieselbe zu sein… Es ist so!
Andrea fürchtete sich vor der Zukunft. Wird er Federico verlieren? Je näher sie sich jeden Tag kamen, umso mehr ging Andrea auf, dass er Federico nicht kannte. "Bist du glücklich?" fragte er Federico am Sonntagmorgen und spielte mit Federicos langen Haaren.
"Ja, ich bin glücklich… warum fragst du?"
"Wolltest du schon immer ein Mädchen sein?"
"Ja, aber es ist nicht wichtig. Du bist wichtiger für mich, als ob ich ein Mädchen sein kann."
Andreas küsste ihn, "möchtest du immer Mädchenkleider tragen?"
"Wenn ich in eine andere Schule gehen könnte; aber was, wenn meine Eltern es herausfinden? Ich will keinen zusätzlichen Stress verursachen für deine Eltern und dich."
"Mach die Augen zu!"
Federico schloss die Augen. Andrea küsste ihn, "ich liebe dich!" Andrea schmiegte sich an Federico, "willst du, dass ich dir Federica sage?"
"Bist du wahnsinnig? Wenn es jemand hört? Ja, gern… das wäre wunderbar!"
Federica enthaarte sich die Beine. Andreas Mutter bemerkte es und sagte nichts. Sie dachte an Raffaela und seufzte. Wie einfach ist, als Psychologin andere Eltern zu beraten! Wenn der Blitz ins eigene Haus schlägt, ist alles anders; nun musste sie sich selbst beraten: Als Andrea ein paarmal vor ihr Federica gesagt hatte, fragte sie Federica, "möchtest du, dass wir dir Federica sagen?"
"Ja, bitte, Entschuldigung, ich will keinen Stress machen."
Manuela sagte es Paolo. Federica trug schon seit sie in Monza war unisex Kleider. In der Schule war es erst wie ein Scherz, aber es setzte sich langsam durch, dass sie Federica war. Wenn jemand fragte, sagte Federica, "ich wollte schon immer ein Mädchen sein."
Aus dem Internet wusste sie, dass sie nicht allein war. Im Liceo gab es eine Regenbogengruppe, die sich einmal pro Woche über Mittag traf. Andrea und Federica waren die glücklichen promessi sposi. Alle assen miteinander und freuten sich schon Monate zum voraus auf die Gay Pride. Alle waren aufgeregt, machten einen glücklichen Lärm und unterhielten sich über Clubs und schwule Netflix Filme. Das wichtigste war, nicht allein zu sein.
Mitte Juni fuhren Andrea und Federica nach San Vincenzo. Federica war immer noch halb Scherz, halb Ernst, aber Grossmutter, Joseph und Alberto gewöhnten sich daran. Alberto fragte Federica, "welche Medikamente nimmst du?"
"Keine."
"Kommst du mal mit mir in die Praxis? Wir müssen zuerst ein paar Tests machen."
Federica fühlte sich ernst genommen und gleichzeitig fürchtete sie sich vor den Konsequenzen: Andrea tat, als akzeptiere er, dass sie ein Mädchen sei, doch wie weiss man, was man will? Was, wenn Andrea sie nachher nicht mehr liebte? Waren sie nicht wie Zwillinge?
Am Strand spielten hübsche Jungen. Federica und Andrea sassen auf der Terrasse der Villa im Schatten. Federica sagte, "sollen wir mal nach Rom gehen, solange es noch nicht so heiss ist?"
"Gute Idee! Soll ich Tante Claudia anrufen? Sie wird sich freuen."
"Ist ein billiges Hotel nicht besser?"
"Hast du Geld?"
"Hundert Euros."
"Dann rufe ich Tante Claudia an."
"Sagst du ihr, dass ich Federica bin?"
Andrea rief Tante Claudia an. Alles kein Problem.
Als sie in Rom bei Tante Claudia ankamen, standen dort Federicas Eltern und nahmen sie gleich mit. Andrea sah sie zwei Jahre nicht mehr. Kein Whatsapp, kein Mail, kein Brief, keine Karte. Andreas Eltern versuchten vergeblich, Federicas Eltern zur Vernunft zu bringen.
Federicos Eltern brauchten ihn in eine Klinik. Die Therapie war ein Albtraum: Federico war in einem fensterlosen Raum und wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Die Medikamente liessen ihn vergessen, was mit ihm geschah; er zog sich in sich zurück, als wäre er nur noch die zwei Buchstaben io oder der eine Buchstaben I. Wenn er starb, starben dann nur ein oder zwei Buchstaben, was kam es darauf an? Er dachte, nur sterben, und gleichzeitig hoffte er, dass es irgendwann aufhören würde und er Andrea wiedersehen würde. Würde Andrea auf ihn warten? Er war dem Therapeuten ausgeliefert wie ein Versuchstier.
Mit wem konnte Andrea sprechen? Wer würde ihn verstehen? Seine Eltern wollte er nicht belasten. Blieben nur seine Freundinnen und Carlo. Bald war alles gesagt. Die Mädchen fanden romantisch, dass Andrea wegen Federica weinte, aber es gab keine Neuigkeiten in der Geschichte. Federico war weg und blieb weg. Zwei Jahre waren eine lange Zeit und Carlo war der beste Sportler in der Klasse…
Nachts dachte Andrea an Federico… hatte Federico ihn vergessen? Andrea wusste, seine Eltern und Grossmutter versuchten ihm und Federico zu helfen, ohne, dass er sie zu mahnen brauchte. Andrea erfuhr nur, dass Federico in einer Klinik war zur Therapie.
Als Federico achtzehn war, liessen ihn seine Eltern laufen. Er fuhr sofort nach San Vincenzo zur Grossmutter, die Andrea anrief. Andrea nahm den nächsten Zug, obwohl er mitten in den Prüfungen war. Vom Bahnhof zum Haus der Grossmutter rannte Andrea, "wo ist Federica?"
"In eurem Zimmer."
Andrea liess seine Sporttasche fallen und rannte die Treppe hinauf, "Federica!"
Andrea erkannte Federica fast nicht mehr. Sie hatte kurze Haare. Ein weiches, bleiches geschlechtsloses Gesicht. Federica war fett und schwammig. Der Körper schien aufgetrieben.
"Ich bin nicht mehr Federica…" Federico begann zu weinen, "ich bin nur hier, weil ich dir versprochen habe, mich nicht umzubringen. Ich bin ein Scheissdreck. Rühr mich nicht an!"
Andrea setzte sich auf einen Stuhl, "was haben sie mit dir gemacht?"
"Bitte sag, dass ich mich umbringen darf!"
"Was haben sie mit dir gemacht?"
"Nichts… oder alles… ich kann es nicht erzählen, es ist widerlich. Glaub mir, ich bin nicht mehr dein Freund, den du gern gehabt hast. Ich bin zerstört; es ist das Beste, dass ich mich umbringe."
Die Person, die Andrea vor sich sah, war weder Federico noch Federica. Andrea schoss in den Kopf, was er sich früher überlegt hatte: Wahre Liebe ist, wenn du liebst, was dir nicht gefällt. Ging es ihm wie Grossmutter, als Grossvater aus dem Gefangenenlager zurückkam?
"Für mich wirst du immer mein Federico sein. Ich bin… meine Eltern und Grossmutter sind auf deiner Seite, was auch immer mit dir passiert ist."
"Ich bin so hässlich, ich möchte tot sein. Bitte rühr mich nicht an!"
Zum Glück rief Grossmutter zum Essen. Auch Alberto und Joseph sassen am Tisch. Federico sagte zu Grossmutter, "darf ich in einem anderen Zimmer schlafen?"
"Wo du willst."
Andrea wusste nicht, ob er wollte, dass diese Person im gleichen Zimmer schlief, aber er fühlte sich verpflichtet zu sagen, "bitte schlaf in unserem Zimmer!"
Joseph setzte sich an den Flügel und spielte und sang:
Nous semons le chemin d'épines, nous
entourons l'amour de chagrins
et ensuite nous blâmons le destin
pour notre erreur.
Vanité, à cause de toi j'ai perdu un
amour de vanité que je ne peux pas oublier.
Vanité, aux ailes dorées, je
pensais rire et
aujourd'hui je me mets à pleurer.
Je me suis
aveuglé, je l'ai arrachée de ma vie
mais aujourd'hui je l'ai encore embrassée.
Federico sagte, "ich kann nicht im Dunkeln schlafen…"
"Dann lassen wir das Licht brennen…"
"Aber ich weiss, es stört dich…"
"In der Schule schlafe ich immer mit Licht."
Sie assen. Alberto kam später.
Im Zimmer sagte Federico, "bitte versteh, wir sind nicht mehr verlobt. Du brauchst mich nicht zu heiraten. Wenn dir ein Junge gefällt, kannst du mit ihm Sex haben und ihn heiraten, wie du willst."
"Warum? Ich will keinen anderen Freund."
"Vergiss mich, ich bin nicht mehr Federico, ich bin nicht mehr schwul oder normal; ich bin zerstört. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr dein Freund sein kann."
"Warum kannst du nicht mein Freund sein? Wegen Sex? Meinst du, ich bin nur dein Freund wegen Sex?"
"Ich bin nicht mehr normal. Wenn du noch mit mir Sex haben willst, dann mache ich, was du willst. Es ist mir egal. Ich fühle nichts mehr."
"Was haben sie mit dir gemacht?"
"Alles… sie wollten mich umpolen. Ich empfinde nichts mehr. Ich möchte nur noch sterben. Bitte lass mich, mich umbringen, bitte!"
"Können wir nicht einfach sein, wie wir waren, bevor wir Sex hatten? Wie Kinder?"
"Reicht dir das?"
"Es geht um dich."
Sie gingen schlafen wie Freunde, die ein Zimmer teilen. Ohne sich zu berühren und mit Licht.
Am Morgen sagte Andrea, "erinnerst du dich an die Geschichte von Grossmutter und Grossvater nach dem Krieg? Sollen wir heiraten und dann machen wir das Beste daraus?"
"Was du willst. Wenn es dir reicht, wie ich jetzt bin…"
"Können wir bald heiraten? Wir haben es uns versprochen."
"Aber ich bin nicht mehr der gleiche…"
Sie zogen ihre T-Shirts und Shorts an und gingen runter. Joseph goss ihnen Kaffee ein. Joseph sagte zu niemandem speziell, "manchmal muss man ein altes Leben in eine Schachtel legen und begraben und ein neues Leben anfangen, sonst quält man sich mit Sachen, die man nicht mehr ändern kann. Ich habe es so gemacht, als Madame mich aufnahm. Sie hat mir ein neues Leben geschenkt. Und jetzt mit Alberto, noch mal ein neues Leben…"
Federico sagte, "Andrea will bald heiraten…"
Alle sagten, "Glückwünsche!"
Federico weinte. Andrea hielt seine Hand, und wie er Federicos Hand hielt spürte er Mitleid mit diesem Wesen, das da neben ihm sass, und in der Wärme der Hand spürte er etwas von dem Federico, den er geliebt hatte. Er hielt Federicos Hand und schloss die Augen. Alles wird wieder gut werden!
Nachdem Frühstück gingen Andrea und Federico ans Meer. Es war schon ein bisschen warm. Der Sand war noch kühl. Sie setzten sich trotzdem. Federico sagte, "Grossmutter hat mir gesagt, dass du in den Prüfungen bist, bitte geh zurück, ich mache keinen Blödsinn, bis du zurück bist. Ich verspreche es dir."
"Jetzt bist nur du wichtig für mich. Ich kann die Prüfungen auch im Sommer nachholen."
"Wie lange gehen deine Prüfungen?"
"Nur noch vierzehn Tage…"
"Bitte geh, ich verspreche dir, dass ich auf dich warte."
Andrea fuhr zurück. Federico spielte mit Grossmutter und Joseph Uno. Wenn Federico weinte, sagte Grossmutter, "vergiss, was passiert ist. Jetzt bist du hier und es geschieht dir nichts."
"Ich weine, weil ich nicht mehr der Mensch bin, den Andrea geliebt hat. Andrea sagt, er liebt mich immer noch, aber er sagt es nur, weil er mich nicht verletzten will."
"Wie bist du jetzt?"
Federico weinte, "ich bin ein Scheissdreck, Entschuldigung!"
Joseph nahm Federicos Hand, "Andrea liebt dich mehr als sich selbst; sollen wir morgen deinen Kummer beerdigen?"
"In einer Schachtel, wie einen toten Vogel?" Federico begann wieder zu weinen.
"In einer Schachtel, wie einen toten Vogel!" Joseph setzte sich an den Flügel und spielte einen Foxtrott und sang leise dazu:
Œillet flétri du rêve,
que tu m'as appris à aimer,
dis à qui était ton propriétaire
que je ne peux pas vivre sans lui.
Œillet flétri du rêve,
qu'il m'a donné au match,
dis-lui qu'il a ouvert une blessure
que ne peut jamais être fermé dans la vie.
Celui qui était mon rêve,
aujourd'hui il m'a abandonné sur le chemin
et détruit le noble rêve.
Celui qui était ma grande passion,
aujourd'hui assoiffé de plaisirs
Avec d'autres désirs oublie mon amour.
Federico weinte, doch er weinte nicht mehr verzweifelt, sondern wie ein Kind, das sich das Knie aufgeschürft hat.
Alberto gab Federico neue Medikamente, "willst du wieder Hormone nehmen?"
"Nein, ich will nur Andrea gefallen. Von den Medikamenten habe ich zugenommen, wie kann ich abnehmen?"
"Hast du Selbstmordgedanken?"
"Mehr als Gedanken; ich möchte mich umbringen; aber ich habe Andrea versprochen, dass ich mich nicht umbringe."
"Solange es dir schlecht geht, solltest du Antidepressiva nehmen, aber andere, die nicht dick machen. Wenn du Diät isst, nimmst du ab, ich schreibe dir auf, was du essen darfst und was nicht."
Andrea hatte in Monza keine ruhige Minute, doch er bestand seine Prüfungen, obwohl seine Gedanken bei Federico waren. Könnte Federico wieder werden wie früher? Sie waren verlobt! Wenn Federico im Rollstuhl wäre, würde er ihn nicht weiterhin lieben?
Ohne dass er es wollte, verstand er plötzlich etwas, was er nie hatte wahrhaben wollen. Seine Eltern waren nicht mehr zusammen, wie sie früher gewesen waren. Warteten sie, dass er erwachsen genug war, um sie zu verstehen? Sie küssten einander nicht mehr. Andrea liebte seine Eltern. Erstmals nahm er sie als Menschen wahr, gleich wie er selbst war. Hatten sie Probleme wie er sie hatte? Dass du jemanden liebst, der dich nicht mehr anzieht, und dich jemand anzieht, den du nicht liebst? Ich liebe dich sagst und es nur halb meinst?
Kaum waren die Prüfungen vorüber, fuhr seine Mutter mit Andrea nach San Vincenzo. Unterwegs sprachen sie über Federico. Als Kinderpsychologin wusste Manuela, wie Konversionstherapien funktionieren und, dass die meisten Teenager sich während oder nach der Therapie umbringen wollen. Sie erklärte Andrea, was mit Federico geschehen war und welche Medikamente ihm vermutlich verabreicht wurden, die dazu führten, dass er so aufgeschwemmt aussah. Andrea fragte, "wenn er die Medikamente nicht mehr nimmt, sieht er dann wieder normal aus?"
"Wenn er die Medikamente nicht mehr nimmt, bringt er sich um. Solche Depressionen sind tödlich. Paolo oder Alberto können ihm Medikamente geben, die ihm helfen. Aber schnell geht nichts."
Manuela verstand, was Andrea plagte. Wie konnte er Federico lieben, wenn ihm Federico nicht mehr gefiel?
Andrea hätte gern mit seiner Mutter über sie und seinen Vater gesprochen, aber wenn sie nicht wollten, dass er es wusste, wie konnte er darüber sprechen?
Manuela erschrak, als sie Federico sah. Er hatte nicht nur zugenommen, sondern auch sein Charakter war verändert. Er hatte keinen Willen mehr; keine Zukunftspläne. Er wollte nur noch sterben, "ich bin ein Scheissdreck!"
Andrea hatte sich vorgenommen, Federico zu lieben, wie er jetzt war. Wir gehören zusammen; es gibt keine Hilfe! Sie schliefen im gleichen Zimmer. Andrea nahm Federicos Hand und küsste sie, "willst du im gleichen Bett schlafen?"
"Ich weiss, dass ich dich ekle, weil ich so dick bin."
"Wir gehören zusammen; es gibt keine Hilfe!"
"Doch, du kannst mich vergessen, und ich schlucke zwei Schachteln Schlafpillen."
"Ich will dich nicht vergessen. Wir sind verlobt; du darfst mich nicht verlassen."
"Ich ekle mich vor mir selbst. Ich will nicht weiterleben."
"Mach, was Joseph gesagt hat. Begrabe, was passiert ist. Es ist vorüber."
"Schau mich an! Nichts ist vorüber."
"In ein paar Monaten siehst du wieder aus wie vorher."
"Du verstehst nicht, sie haben mich gezwungen zu sagen, dass dich hasse…"
"Und jetzt, hassest du mich?"
"Sie wollten, dass ich dich verabscheue…" Federico begann zu weinen, "dass ich kotzen muss, wenn ich an dich denke…"
"Mit Elektroschocks?"
"Ja, das auch, Spritzen, Pillen… "
"Musstest du Videos anschauen?"
"Können wir nicht davon sprechen? Verstehst du, dass ich es nicht vergessen kann?"
"Gibt es irgendwas, was du machen möchtest?"
"Ja, sterben."
Sie schliefen, wie sie als Kinder geschlafen hatten, mit einer Hand über dem Anstaltsspalt zwischen den Betten. Andrea liess selbst im Schlaf Federicos Hand nicht los.
Nach einigen Tagen fuhr Manuela zurück nach Monza. Sie verstand Raffaela nicht. Wie konnte man ein Kind dem Geschwätz einer Sekte opfern? Manuela wagte nicht, mit Grossmutter darüber zu sprechen; sie wollte Grossmutter nicht gegen Raffaela aufhetzen.
Sie hätte gern mit Andrea über sich und Paolo gesprochen, doch Andrea hatte genug Sorgen mit Federico.
Andrea schlief nicht viel. Er sagte sich, es geht nicht um mich, aber er wusste, dass er sich wünschte, dass Federico wieder wie früher aussehe. Einen Freund im Rollstuhl zu pflegen, traute Andrea sich zu, doch Federico wie er jetzt war… und wenn es mir passiert wäre?
Nach dem Frühstück gingen Andrea und Federico am Strand spazieren. Der Himmel war blau, aber es ging ein kühler Wind. Sie wollten bis zum Hundestrand spazieren, doch unterwegs musste sich Federico erst setzen, dann hinlegen, "Entschuldigung, ich fühle mich nicht gut…"
Andrea zog seine Windjacke aus und legte sie Federico unter den Kopf. Federico war bleich… kreideweiss… plötzlich verstand Andrea, dass Federico immer noch Federico war und, dass Andrea ihn weiterhin mehr liebte als irgendjemand anderes auf der Welt, "bitte, stirb nicht, bitte stirb nicht, bitte stirb nicht… Federico, ich liebe dich… ich verspreche dir, alles wird wieder gut…"
Er rief Alberto an, der zum Glück gleich antwortete: "Wo bist du?"
"Beim Ausgang 8."
"Ich schicke eine Ambulanz; kannst du ihn auf die Seite legen?"
"Ich weiss wie, mein Vater hat es mir gezeigt. Ich mache es gleich."
Andrea brachte Federico in Seitenlage.
Bevor die Ambulanz kam, öffnete Federico schon wieder die Augen, "es ist nichts," und versuchte sich aufzusetzen, doch er wurde gleich wieder ohnmächtig. Endlich kamen die Sanitäter in ihren gelb-blauen Overalls. Eine kräftige junge Frau mit Stethoskop mass Federicos Blutdruck und Blutsauerstoff. Nach einer Spritze luden sie Federico auf eine Bahre und trugen ihn vom Strand in die pineta, wo die Ambulanz der Misericordia stand. Die Sanitäter nahmen Andrea mit ins Spital.
Im Spital gaben sie Federico eine Infusion und hängten ihn an einen Monitor. Bald kam Alberto. Er kannte die Ärztin, die sich um Federico kümmerte. "Es ist der Wechsel der Medikamente und die Diät. Es ist mein Fehler. In ein paar Tagen geht es ihm besser. Heute bleibt er noch hier, damit wir sehen, ob noch etwas anderes nicht gut ist."
Andrea sass neben Federicos Bett, "wie geht es dir jetzt?"
"Warum lässt ihr mich nicht sterben?"
"Weil wir dich lieben."
"Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann hättest du mich am Strand sterben lassen."
Andrea begann zu weinen. Er nahm Federicos Hand, "wir gehören zusammen, es gibt keine Hilfe!"
Andreas phone vibrierte. Federico sagte, "nimm nur ab!"
Andreas sah, dass es Carlo war. Federico fragte, "hast du einen Freund?"
"Ich habe zwei Jahre nichts von dir gehört. Ich wusste nicht, ob du noch an mich denkst."
"Ist es Carlo?"
"Ja, ich weiss nicht, was ich ihm sagen soll, weil du wieder da bist."
"Sag ihm, dass es mich nicht stört. Carlo ist ein guter Freund für dich."
"Vergibst du mir?"
"Ich bin froh, dass du nicht auf mich gewartet hast."
"Ich habe auf dich gewartet. Jeden Tag habe ich an dich gedacht…"
"…aber du bist ein gesunder junger Mann…" Federico lächelte schwach, "ich bin nicht eifersüchtig…, sag Carlo Grüsse; ich sei froh, dass ihr Freunde seid."
"Ich rufe ihn später zurück."
"Ich bin froh, dass du einen Freund hast, wenn ich nicht mehr hier bin."
Andrea nahm Federicos Hand, "warum sagst du das?" Andrea begann zu weinen.
"Weil es ist die Wahrheit ist. Ich kann kein richtiger Freund mehr für dich sein; in mir ist etwas zerbrochen, was nicht mehr geflickt werden kann, oder ich will es nicht mehr flicken. Ich wollte mit dir leben, und wenn das nicht mehr möglich ist, dann will ich nicht mehr leben."
"Und warum soll es nicht mehr möglich sein? Du bist da, ich bin da. Ich liebe dich… vergiss Carlo, er ist ein Freund, auch wenn wir Sex hatten, er bedeutet mir nichts verglichen mit dir."
"Aber ich will nicht so leben wie ich jetzt bin. Sie haben mich schmutzig gemacht, innen schmutzig, ich kann es nicht vergessen. Warum lässt du mich nicht sterben?"
"Möchtest du immer noch eine schöne Frau werden?"
"Damit ich als Hure auf den Strich gehen kann? Das hat mir meine Mutter gesagt…"
"Deine Mutter?"
"Du weisst nicht, was sie mit mir gemacht haben… Sie wollten einen Mann aus mir machen, auch wenn ich dabei draufgehe. Es geht ihnen nur um ihre Stellung in der Gemeinde. Wie unglücklich ich bin, interessiert sie nicht. Ich hasse meine Eltern."
Andrea war schockiert, "gibt es irgendwas, was ich für dich tun kann, damit du wieder leben willst."
"Lass mich sterben. Halte meine Hand, wenn ich sterbe, mehr verlange ich nicht von dir."
Grossmutter kam herein mit Joseph. Sie schickte Andrea und Joseph raus und sprach allein mit Federico.
Nachher sagte Federico, "Grossmutter hat recht; es geht nicht um mich. Es ist alles in Ordnung; wenn es Carlo nicht verletzt, können wir heiraten. Es tut mir leid, dass ich mich wichtig genommen habe. Jetzt möchte ich ein bisschen schlafen. Morgen geht es mir sicher wieder gut."
Federico drehte sich auf die Seite so gut es mit der Infusion ging, schloss die Augen und schlief ein… oder stellte er sich nur schlafend?
Am nächsten Tag brachte Alberto Federico in die Villa zurück. Federico sagte, "es geht mir wieder gut. Macht euch keine Sorge."
Andrea und Federico gingen an den Strand. Andrea fragte, "bist du sicher, dass du nicht wieder ohnmächtig wirst?"
"Wenn ich ohnmächtig werde, gib mir ein paar Ohrfeigen, dann geht es mir gleich besser!"
"Was hat dir Grossmutter gesagt?"
Federico lächelte, "ein Geheimnis… ich sage es dir später… komm wir joggen ein bisschen, jeden Tag etwas mehr, bis ich wieder in Form bin…"
"Bist du sicher, dass du das schaffst?"
"Nur hundert Meter… Du bist mein Trainer… "
Sie konnten nicht weit laufen, dann musste Federico sich wieder setzen, "mach dir keine Sorgen, es geht mir gut… "
Andrea stützte Federico. Federico sagte, "keine Sorge, ich will leben… für dich!"
Federico sah noch nicht wieder wie Federico aus, aber er war wieder Federico. Er war bleich und wackelig, aber er lachte… für Andrea.
Als Andrea Carlo zurückrief, sagte Carlo, "ich verstehe, dass Federico für dich wichtiger ist."
"Federico geht es nicht gut."
"Darf ich euch besuchen kommen?"
"Ich frage Federico."
Federico sagte, "ich sehe hässlich aus; ich will nicht, dass er mich so sieht."
Andrea verstand… und wenn Carlo käme, wer würde mit wem schlafen?
Federico: "Du möchtest, dass er kommt, nicht wahr? Dann ist es okay."
"Ich frage Grossmutter."
Grossmutter sagte, Carlo sei willkommen. Sein Besuch würde Federico helfen, sich wieder zurechtzufinden. Andrea spürte, dass Carlo ihn sexuell reizte… war es eine gute Idee, ihn einzuladen?
Federico merkte, dass Carlo Andrea gefiel; beide waren sportlich, männlich, sahen normal aus… war es Andrea manchmal peinlich gewesen, mit Federico gesehen zu werden? Federico war eifersüchtig und gleichzeitig gönnte er Andrea, mit Carlo Sex zu machen. Federico wollte, dass Andrea glücklich sei, doch wenn er sich vorstellte, dass Andrea Carlo küsse, fühlte Federico sich verzweifelt. Immer hatte er für Andrea schön sein wollen; nun war er hässlich und Andrea liebte Carlo. Wie konnte Federico sich töten, ohne andere zu belasten? Würde seine Mutter nicht Andreas Mutter Schuld geben?
Als könnte Andrea erraten, was Federico dachte, fürchtete Andrea, Federico zu verletzen, und doch wusste Andrea, wie er reagieren würde, wenn Carlo ihn an eine Wand drückte und küsste, aber er war nicht stark genug nein zu denken. Konnten sie nicht zu dritt...?
Carlo kam und küsste Federico nicht weniger als Andrea, "Federico, bitte entschuldige, wir wussten nicht, was mit dir geschehen war…"
"Ihr seid zwei gesunde Jungen, das ist normal," Federico lächelte, "solange du auch ein bisschen mein Freund bist, ist es mir gleich."
"Wie geht es dir? Andrea hat gesagt, dass du krank bist…"
"Ein Arzt hat mir Pillen gegeben, die dick machen; jetzt bin ich am Abnehmen. Mein Blutdruck ist zu niedrig, aber bald wird es mir besser gehen, sagt Alberto, der Arzt ist."
Konnte Carlo nicht sehen, dass Federico verändert war? "Für mich bist du immer noch derselbe; wegen mir musst du nicht abnehmen; mir gefallen Nutella Jungen."
"Andrea will, dass ich wieder so mager bin wie zuvor."
"Mir gefällst du, wie du bist." Sie gingen ans Meer hinunter. Carlo hielt Federicos Hand. Gefiel Carlo Federico? Carlo hatte kräftige haarige Beine und das T-Shirt betonte seine Muskeln. Andrea war rasend eifersüchtig, "Carlo, bitte lass Federico los, ich sterbe vor Eifersucht!"
Federico küsste Carlo… zum Spass, und liess dann Carlo los. Andrea setzte sich in den Sand. Er war so sicher gewesen, dass nur er Carlo gefiel und jetzt… gefiel Federico Carlo besser als er? Lachend schmollend sagte er, "ihr braucht mich nicht mehr… ich wünsche euch Glück!"
Carlo und Federico setzten sich neben ihn. Carlo sagte, "wenn ich mich entscheiden müsste zwischen dir und dir, würde ich mich für euch beide entscheiden. Wir sind Aussenseiter, ob zu zweit oder zu dritt, nur Andrea weiss, warum mir Federica gefiel, und Federico versteht am besten, was mir an Andrea gefällt…"
Federico: "Die einfachste Lösung ist, ich schwimme ins Meer hinaus und ihr heiratet und lebt glücklich, bis der Tod euch scheidet."
Carlo: "Blödsinn, wir brauchen dich…"
Federico: "Ich kann nicht kochen… nicht Klavierspielen… nicht Fussballspielen…"
Andrea: "Sollen wir noch ein bisschen spazieren?"
Die Sonne stand tief und die drei Jungen warfen lange Schatten auf den Strand. Bevor sie am Anfang des Strandweges ankamen, musste Federico sich wieder setzen, "geht nur weiter, ich warte hier auf euch!"
Andrea: "Kommt nicht in Frage, wir tragen dich nachhause."
Andrea und Carlo setzten sich neben Federico in den Sand.
Andrea: "Ist es wieder der Blutdruck?"
Federico: "Es ist nichts, ich bin eine Lady und wenn ich eine Maus sehe…"
Andrea: "Wo ist hier eine Maus?"
Federico: "Du hast die Maus gemacht [hast geschmollt], da bin ich gleich in Ohnmacht gefallen."
Sie lachten.
Federico: "Alberto hat gesagt, ich hätte nicht genug rote Blutkörperchen. Er hat noch ein paar Tests gemacht."
Andrea: "Wann erfährst du, was die Tests ergeben haben?"
Federico: "Morgen, er hat gesagt, ich solle keinen ungeschützten Sex haben bis dann."
Carlo: "Er meint…"
Andrea: "Das ist unmöglich…"
Federico: "Noch ein Grund, mich umzubringen…" Federico lachte bitter, "versteht ihr?"
Andrea: "Bist du sicher?"
Federico: "Ich schlafe heute Nacht im anderen Zimmer; Ihr könnt das grosse Zimmer haben."
Carlo: "Sicher nicht… dafür bin ich nicht hergekommen…"
Die Tests waren schlechte Nachrichten: HIV-positiv, schlechte Blutwerte, Anämie, Eisenmangel…
Als Andrea mit Federico allein war, fragte er Federico: "Hast du mit jemandem Sex gehabt?"
"Jemand hat mich vergewaltigt. Reicht dir das?"
"Wer?"
"Ich will nicht darüber sprechen. Wenn du weiterhin mein Freund sein willst, nehme ich die Medikamente, wenn nicht, brauche ich sie nicht."
"Hast du vergessen, dass wir verlobt sind?"
"Bleibst du bei mir?"
"Logisch… ich verspreche es dir." Andrea wischte sich die Tränen ab und nahm Federicos Hand, "wer hat dich vergewaltigt?"
"Ich will nicht darüber sprechen. Es belastet mich. Wir können es nicht ändern. Ich will meine Eltern nicht wiedersehen."
Andrea liess Federicos Hand die ganze Nacht nicht los.
Am Morgen küsste Andrea Federico, "wir bleiben zusammen, versprochen?"
"Versprochen!"
"Du bringst dich nicht um, versprochen?"
"Versprochen!"
"Du lernst kochen, versprochen?"
"Warum ich?"
Beim Frühstück merkte Federico, dass Joseph es wusste. Federico war verstimmt, doch als er einen Augenblick mit Joseph in der Küche allein war, sagte Joseph, "entschuldige, ich sollte es nicht wissen, ich habe es zufällig gehört… ich bin auch positiv. Es ist kein Todesurteil. Bald wird es dir besser gehen. Alberto hat dich gern, auch wenn er manchmal grob ist."
"Weiss Grossmutter, dass du positiv bist?"
"Klar, ich habe keine Geheimnisse vor Madame. Madame ist wie eine zweite Mutter für mich. Sie liebt dich."
Sie gingen ins Esszimmer. Grossmutter unterhielt sich mit Carlo, der bessere Manieren hatte als Andrea oder Federico, für die Grossmutter die Person war, der sie alles sagen konnten, die mehr verstand und mehr verzieh als die Eltern. Sie tranken Kaffee, assen frische Brötchen mit Aprikosenkonfitüre. Die Balkontüren standen offen, vom Strand kamen die Stimmen spielender Kinder.
Andrea bemerkte, dass zwischen Joseph und Federico etwas neu war, und erriet, was es war. Federico hatte recht, Joseph war cool. Joseph scherzte gern und immer gutwillig. Heute war Andrea für jedes bisschen Liebe für Federico dankbar, denn Andrea stellte sich vor, was es für ihn selbst bedeuten würde, für seine Mutter… hatte Federico noch Eltern? War er verstossen wie Joseph, den, sagte Grossmutter, seine Familie umbringen wollte, weil er homosexuell ist. Andrea nahm sich vor, seine Mutter anzurufen, doch durfte er es ihr sagen?
Während der siesta fragte Andrea Federico, "hast du Angst?"
"Du meinst, wie der Selbstmörder, dem es schwindlig wird, wenn er auf dem Fenstersims steht? Ich möchte nur nicht, dass es meine Eltern erfahren, denn sie werden glauben, es sei dein Fehler und der Fehler deiner Mutter."
"Bist du wirklich vergewaltigt worden?"
"Meinst du meine Eltern liessen mich jemand kennenlernen?"
"Konntest du dich nicht wehren?"
"Er hat mir Medikamente gegeben… können wir nicht darüber sprechen. Glaubst du mir nicht?"
"Ich begreife es nicht. Warum machst du keine Anzeige?"
"Es hat alles mit der Gemeinde zu tun, wenn ich etwas sage, schade ich meinen Eltern."
"Aber es ist ein Verbrechen!"
"Meine Eltern würde es mir nie verzeihen, ohne dass es mir etwas hilft. Bitte denk nicht mehr daran. Wenn du mich trotzdem noch gern haben kannst, dann ist es für mich erledigt."
Andrea nahm Federicos Hand, "entschuldige, ich wollte dich nicht quälen."
"Machst du mir eine Freude?"
"Mit Freuden!"
"Nimm einen Kochkurs! Was kann eine Lady wie ich mit einem Ehemann anfangen, der nicht kochen kann?"
"Ich kann ein bisschen kochen; ich habe es von meiner Mutter gelernt. Was möchtest du essen?"
"Spaghetti mit Tomatensauce und geriebenem Parmesan."
"Ich schaue in YouTube, ob ich ein Rezept finde…"
"Ich zeige dir, wie es geht! Was anderes: Hast du mich noch ein bisschen gern?"
"Logisch…"
"Können wir eine Viertelstunde zusammen schlafen, wie wir früher zusammen geschlafen haben?"
"Wenn du mir einen Kuss gibst!"
Carlo genoss mit Grossmutter zu sprechen. Zum ersten Mal konnte er mit einer erwachsenen Person offen darüber sprechen, dass er Jungen liebte. In seiner Familie schien es kein Problem, aber niemand sprach darüber. Carlos älterer Bruder hatte angedeutet, dass es ihn nicht schockierte. Was Carlo an Grossmutter gefiel, war, dass sie sagte, ich weiss es nicht oder ich habe nicht die kleinste Idee [ich habe keinen blassen Dunst]. Carlo schien, dass je öfter Grossmutter sagte, ich weiss es nicht, umso mehr wusste sie… War etwas nicht zu wissen, nicht sauberer und klarer, als zu tun, als wüsste man, was man nicht wusste?
Grossmutter und Joseph waren wie ein Liebespaar. Sie sangen gemeinsam und Joseph spielte auf dem alten Flügel. Grossmutters Stimme war heiser; Joseph lachte beim Singen. Grossmutter und Joseph tanzten Foxtrott und Walzer zu alten Schallplatten. Carlo hatte tanzen gelernt und konnte Grossmutter führen, wenn Joseph einen Tanz spielte.
Carlo hätte gern mit Federico oder Andrea etwas gemacht, aber es entspannte ihn, sein zu dürfen, wie er sich fühlte. Weil seine Familie konservativ war, hatten ihm der fröhliche Lärm der Regenbogengruppe nicht zugesagt. Dass Jungen ihre Haare grün oder pink färben mussten, weil sie Jungen liebten, leuchtete ihm nicht ein. Hatten Michelangelo oder Leonardo da Vinci Nasenringe getragen? Carlo gefiel, wie Alberto und Joseph selbstverständlich mit Grossmutter zusammenlebten.
Andrea stellte sich vor, wer Federico vergewaltigt und angesteckt hatte; war es ein Pastor? Er hasste den Unbekannten. Andrea suchte im Internet und fand einen Arzt, Gemeindepräsident und Konversionstherapeut… die Fotos zeigten einen onorevole, blond gefärbte Haare, Krawatte, Anzug… Ihn umbringen, nein zuerst foltern und verstümmeln… Andrea wollte niemanden mehr ansehen, der Hass frass ihn auf. Er ging an den Strand. Es war ihm recht, dass es leicht regnete. Er merkte nicht, wie weit er lief; als er zu Bewusstsein kam, war er schon am Hundestrand vorbei. Er hasste Domenico und Raffaela, die schuld waren. Andrea war allein. Er setzte sich in den Sand und heulte. Er schrie alle Flüche, die er kannte in die Brandung. Er wollte allein sein und gleichzeitig wünschte er sich, dass jemand käme und ihn in seinem Hass störe. Wieviel Uhr war es? Er schaute auf sein phone… Grossmutter würde bald zum Essen rufen; er musste umkehren. Beim Zurücklaufen stellte er sich vor, dass er auf einem Fussgängerstreifen den Arzt mit Albertos SUV zum Krüppel fahren würde. Aber Federico wollte nicht gerächt werden, das wusste Andrea. Wenn Andrea nur mit jemandem sprechen könnte, doch er wusste, dass Federico nicht wollte, dass Andrea mit jemandem darüber sprach. Seine Mutter würde ihn verstehen. Wieviel hatte Federico Alberto gesagt?
Am Hundestrand lief ein hellbrauner nasser Welpe schwanzwedelnd auf Andrea zu. Andrea kniete nieder und streichelte den kleinen Hund, "armer kleiner Hund, was kommt auf dich zu?" Waren Andrea und Federico nicht wie dieser kleine Hund gewesen? Voller Optimismus und Entdeckungsfreude… Wenn sie mal gross wären, hatten sie sich vorgestellt, und jetzt, wo sie gross waren…
Andrea rannte weiter. Die Bewegung tat ihm gut; er fühlte sich stark gegen den Wind, der ihm ins Gesicht blies. Er hätte gerne mit seiner Mutter und seinem Vater darüber gesprochen, dass Federico von einem Arzt vergewaltigt worden war. Er vermisste seine Eltern und wollte nicht daran denken, dass zwischen ihnen etwas anders war als früher.
Am Abend, als Carlo sie allein liess, fragte Andrea Federico, "war es Lazzarini?"
"Woher weisst du es?"
"Ich bringe ihn um…"
"Was hilft das mir? Meinst du, er hat nur mich vergewaltigt?"
"Wir müssen ihn stoppen!"
"Du hast recht, aber ich bin noch nicht soweit, dass ich an andere denken kann. Er hat gesagt, ich hätte es genossen, worüber beklage ich mich?"
Federico versteckte sein Gesicht im Kopfkissen, "bitte sprich nicht mehr davon. Wenn ich nicht positiv wäre… Ich will es vergessen. Jeden Tag werden viele Jungen vergewaltigt und noch viel mehr ermordet oder kommen um im Krieg. Es geht nicht um mich. Sobald ich wieder gut aussehe, kannst du mit mir machen, was du willst. Ich gehöre dir."
"Ich bringe ihn um!"
"Bitte hab Geduld mit mir. Ich weiss, es ist nichts Besonderes, ich bin nicht der Einzige, dem das geschehen ist… Grossmutter hat gesagt, wir dürften uns nicht fragen, wie es uns gehe… Ich werde mit Grossmutter sprechen… Bitte vergiss es!"
"Ich bringe ihn um!"
"Statt ihn umzubringen und alles schlimmer zu machen, hilf mir!"
"Wie kann ich dir helfen?"
"Halte mich in den Armen, wenn wir schlafen. Sag mir, dass du mich schön findest. Wenn du mich liebst, werde ich darüber hinwegkommen. Ich verspreche es dir."
Beim Einkaufen fragte Andrea Federico, "bist du einverstanden, dass ich Medizin studiere? Was willst du studieren?"
"Warum muss ich einverstanden sein?"
"Weil wir zusammen sind. Ich habe Angst, dass es dich verletzt."
"Du wolltest immer Medizin studieren…"
"Ich meine wegen Lazzarini…"
"Was hat das mit Lazzarini zu tun… Alberto und Dein Vater sind auch Ärzte."
"Dann ist gut. Was willst du studieren?"
"Killer… Giftmord… Kriminalistik… der perfekte Mord…Seit heute Morgen geht es mir besser, statt deprimiert bin ich wütend… du hast recht: Wir müssen ihn umbringen."
"Dann musst du in die Polizeischule gehen; als Polizist kannst du ihn umlegen, ohne dass der Verdacht auf dich fällt."
"Ich verhafte ihn mit einem Kilo Heroin in seinem widerlichen BMW…"
"… und erschiesst ihn beim Versuch zu flüchten…"
"Ich leere das Magazin…"
Andrea sah, dass es Federico besser ging. Wut war besser als Depression!
Welche antipasti sollten sie kaufen, hatte Grossmutter gesagt?
Andrea, Federico, Carlo und Joseph gingen erstmals schwimmen. Das Wasser war noch kühl, aber nach fünf Minuten spürte man es nicht mehr. Dafür war es noch klar. Nachher spielten sie auf dem Sand Fussball. Andrea sah, dass Federico woanders war.
Vor dem Essen sassen (nachdem sie den Tisch gedeckt hatten) Federico, Andrea und Carlo auf der Terrasse. Carlo fragte Federico, "wie hast du dich angesteckt, darf ich das fragen?"
Andrea sagte, "bitte frag ihn nicht; er will nicht darüber sprechen."
Aber Federico sagte, "Doktor Anibale Lazzarini hat mich vergewaltigt und angesteckt. Ich werde ihn anzeigen."
Andrea war geschockt.
Carlo sagte, "mein Vater ist Rechtsanwalt, soll ich ihn fragen, ob er dir hilft?"
Federico: "Wenn es ihm nicht unangenehm ist. Lazzarini ist mächtig."
Carlo: "Wir sind katholisch. Mein Vater mag ihn nicht."
Nachdem Federico mithilfe eines jungen Anwalts aus der Kanzlei von Carlos Vater seine Anzeige gemacht hatte, schlossen sich ein paar junge Männer aus der Gemeinde seiner Anzeige an. Lazzarini stritt alles ab; die jungen Männer wären Perverse, denen er hatte helfen wollen. Die Carabinieri durchsuchten die Praxis und stellten die Computerplatten sicher. Es gab Videos… Als Lazzarini verstand, dass er verloren war, erschoss er sich.
Federicos Eltern vergaben Federico nicht, dass er das Ansehen der Gemeinde beschmutzt hatte.
Andrea bewunderte Federico, der plötzlich wusste, was er wollte und sich gegen sich selbst durchsetzte, "was willst du studieren?"
"Strafrecht."
Mit dem neuen Federico klarzukommen, war für Andrea nicht einfacher. Der alte Federico hatte zu allem ja gesagt, der neue Federico lachte Andrea aus, wenn er den Ehemann spielte. Federico hatte immer Grossmutter und Joseph auf seiner Seite, die mitlachten.
Mitte Juli kam Manuela nach San Vincenzo. Andrea fragte gleich, "kommt Papa auch?"
"Hat er dir etwas gesagt?"
"Das heisst, er kommt nicht?"
Sie setzten sich auf der Terrasse in den Schatten.
"Was weisst du?"
"Dass etwas nicht in Ordnung ist zwischen euch…"
"Wir haben zuviel gearbeitet und haben uns auseinandergelebt; wir waren zu vernünftig und jetzt… Mamma ist einverstanden, dass ich vorläufig hier lebe… Ich möchte bei Mamma sein, wenn sie mich braucht…"
"Das macht Joseph schon…"
"Du hast recht. Mach nie den Fehler, den ich gemacht habe… glaube nie, dass man sich automatisch weiterliebt, wenn man sich früher mal geliebt hat."
"Ich habe nur gemerkt, dass ihr euch nicht mehr geküsst habt… bist du sehr traurig?"
"Ich weiss es nicht… ich freue mich, mit Mamma zusammen zu sein. Ich möchte hier eine kleine Praxis einrichten… nur ein Zimmer. Paolo und ich streiten uns nicht. Er wird dein Studium bezahlen; Grossmutter bezahlt das Studium für Federico. Bitte sei Papa nicht böse; wir wollten warten, bis du mit dem Liceo fertig bist…"
"Das habe ich geahnt… was darf ich Federico sagen?"
"Alles; es ist kein Geheimnis mehr. Ich bin glücklich, dass ihr euch versteht."
"Federico hat sich verändert; er ist super streng mit mir…"
"Mit dir muss man streng sein, da gebe ich Federico recht…" Manuela lachte.
"Er will Strafrecht studieren…"
"Paolo hat vorgeschlagen, dass ihr beide in Pisa studiert. Die Uni ist besser und ihr könnt bei Grossmutter oder in Albertos Haus wohnen."
"Carlos Vater hat uns eingeladen, wenn wir in Pisa studieren, unter der Woche in ihrem Haus zu wohnen. Sie haben leere Zimmer. Carlos Familie sind altmodisch, aber Carlos Vater hat Federico geholfen."
"Carlos Grossvater ist erschossen worden… Grossmutter hat es mir erzählt. Es ist eine gute Familie."
Beim Frühstück sassen alle, auch Alberto, im Esszimmer. Auf dem alten Grammophon lief ein Foxtrott. Andrea dachte, überall auf der Welt ist Krieg, verhungern Menschen, und wir sitzen da und essen frische Brötchen mit Aprikosenkonfitüre… haben wir nicht wahnsinnig Glück? Er wollte etwas sagen, aber dann dachte er, dass er Joseph, Federico, seine Mutter verletzen würde, die es schwer hatten. Er sagte leise zu Federico, "bist du glücklich?"
"Du nicht?"
Andrea nahm unter dem weissen Tischtuch Federicos Hand und zeichnete ein grosses Herz in Federicos Handfläche.
Sie heirateten kurz danach.