Am 5. April 2018 habe ich bei der Buchvernissage von Dominic Oppligers acht schtumpfo züri empfernt eine Ansprache gehalten. Ansprachen liegen mir nicht besser als ich Klavier oder Gitarre oder Flöte oder Geige spiele.
Ort war der Helsinki Club an der Geroldstrasse 35, 8005 Zürich. Der Club sah schlimm aus, die Leute vom Club sahen ebenso schlimm aus, doch sie waren freundlich und fröhlich und das Publikum auch. Was mich an dieser Szene beeindruckt ist, dass viele (einschliesslich Dominic Oppliger) schon viel mehr geleistet haben, als sie aussehen.
schna
tüürlechen
super
text
Dominic hat gesagt,
… ich solle erzählen, wie das für mich gewesen ist, als er in mein Büro getrampelt kam. Was ich empfand, in welchem Zustand ich mich befand? Blutdruck? Verdauungsprobleme?
Ich sass in meinem Büro
… und las Mails; hoffte Trump würde nicht gewählt, als Dominics Mail kam, das mich gefreut hat. irgenden chnochener innerezecha miich! Dominic hat mich gefragt, ob er mir seinen Text senden dürfte. Logisch! doch hatte ich ein schlechtes Gefühl. Wenn Leute nicht sicher sind, ob ein Text was taugt, ahnen sie meist schon, dass er nichts taugt.
Als ich den Text dann erhielt,
… war ich erleichtert, dass der Text nicht so furchtbar war, dass ich hätte sagen müssen, seer interessant, und Dominic solle sich auf die Musik konzentrieren. Der Text begann zu früh, als Dominic noch beim die aufwärmen war, fasste zusammen, wo es interessant wurde, und wurde ausführlich, wo ich es schon im 20 Minuten hätte lesen können.
Doch Dominics Sprache,
… sein nömganzim aargau, noniganz züri Dialekt gefiel mir. Wie Annelies Strba oder Urban Gwerder sieht Dominic im Privaten, Intimen Schönheit, die er bewahren möchte, wofür na tüürli Mundart wi gmachtisch, weil wir in gesprochener Sprache genauer, lebendiger, körperlicher ausdrücken können, was wir sehen, hören, fühlen, schmecken, riechen, denken als in unserer Schriftsprache, die für den reichen farben-flimmernden Kosmos nur einen armen grauen Schulsetzkasten vorgestanzter Ausdrücke bereitstellt.
Wie die Schwäne von Fischli-Weiss,
… oder deren Flugplatz Kloten bildet acht schtumpfo züri empfernt unsere Schweizer Gegenwart so fo nööch ab, dass wir nicht beim Lesen erwischt werden möchten, weil uns peinlich ist, gesehen zu werden, wie wir sind, statt wie wir zu sein glauben.
Schon in der Rohfassung gab es Absätze, die so frisch waren
… wie (Veit ist heute abend hier) in Veit Stauffers Halbweiss, einem Buch das Dominic und ich unabhängig voneinander mit dreissig Jahren Abstand faszinierend und richtungsweisend fanden. acht schtumpfo züri empfernt setzt für mich den Weg fort, den Veit Stauffer 1983 (in Dominics Geburtsjahr) mit Halbweiss begonnen hat. Halbweiss ist ein bahnbrechend heterosexuell-feministischer, pubertär-altweiser, verliebt auf dem Töffli-Text, der exemplarisch aufzeigt, wie in der Schweiz in der Literatur unterdrückt wird, was in der bildenden Kunst gefördert wird.
Wie 1983 Veit Stauffer,
… der auch über die Musik ("City Vibes", recrec Label, recrec Laden für Vinyl und CD) zum Schreiben kam, hat Dominic 2017 den Mut, sich zu sehen, wie er ist, verstrickt in unserer intelligenten Blödheit, als lasziver Feminist, xenophiler Mundartdichter, der früher englisch und heute Mundart singt, von dem es am Computer produzierte Videos gibt, in denen er von einer Welt ohne Computer träumt. Er schreibt, wie er glaubt, er spreche, wie er denkt, er denke.
Wie Veit Stauffer, Robert Walser, Henri-Frédéric Amiel ist
… grob xeit Dominic ein Heterosexueller mit der Sensibilität eines Schwulen. Dominic will verstehen, verstehen, verstehen, was das Andere am Mannsein, am Frausein ist. Denn was ist Liebe, ohne den anderen, die andere zu verstehen? Das war warum mir acht schtumpfo züri empfernt, so holprig die erste Fassung war, gefiel.
Bevor Dominic mich in meinem Büro besucht hat,
… habe ich den Text so gestriegelt, wie ich es mit einem eigenen Text machen würde. Glücklicherweise ist Dominic nicht gleich eingeschnappt, sondern hat geschnallt, dass was übrigblieb stärker wirkte. Er hat das schneller gecheckt als ich, als ich zu schreiben anfing. Er ist mehr als nur einen Hauch schlauer als er möchte, dass wir denken er sei.
Er gehört zu diesen Schweizer Intelligenten Naiven
… wie Fischli-Weiss, Roman Signer, Pipilotti Rist, Annelies Strba in der bildenden Kunst, Robert Walser, Charles-Ferdinand Ramuz, Maria Lauber, Urban Gwerder, Veit Stauffer in der Literatur. Gemeinsam ist der neu-alte Mut, Wahrgenommenes wiederzugeben ohne den Filter der literarischen Konvention, des bürgerlichen oder proletarischen Anstands, ohne schtas nö piinlech? oder chamedas truke?
Während ich tat, als würde ich seine violetten Hosen
… von innen und aussen beschnuppern, reichten Dominic ein paar Beispiele, um zu sehen wie er das Potential seines Rohtextes realisieren konnte, um den ganzen Text so stark zu machen, wie er jetzt ist. Sobald er daran zu arbeiten begann, verlor er die Angst, seinen ursprünglichen kreativen Funken auszulöschen.
Dominic hat nicht gern, wenn man ihn lobt,
… sagt er, darum also hier: Was sind Dominics Schwächen? Menschlich ist er ein bescheidenes Grossmaul mit gutem Herz, emotionell wohl treuer als sexuell. Er ist eine typisch schweizerische Mischung aus vorsichtigem Familienvater und Montmartre-Süffel.
Seine guten Ideen sind die guten Ideen guter Künstler
… aller Zeiten, genauer zu sehen, und dann noch genauer, wie Vermeer, wie Cézanne, wie die Le Nain Brüder, wie Vuillard… oder als Schriftsteller wie Aldous Huxley.
Er hört zu, wenn er kritisiert wird,
ohne deswegen von seinem eigenen Weg abzukommen. Er hält es aus, wenn andere Erfolg haben, ohne gleich auf dem momentan rollenden Zug aufzuspringen. Er arbeitet hart. Er ist schlau im Marketing und naiv-geradlinig in seinem künstlerischen Kern.
Und nun wird es ganz persönlich…
… für Sie, das Publikum: Ob wir in der Deutschschweiz eine Literatur haben, die sich nicht an dem misst, was in Berlin läuft, sondern (denn dort läuft mehr und interessanteres) was in Tokyo, Jakarta, Shanghai, in Mexico City, Buenos Aires und in Lima läuft, hängt von Ihnen ab. Wenn Sie diese Literatur und die Dichter, die sie produzieren unterstützen und tragen, und verteidigen gegen die mächtigen Cliquen und Seilschaften, die Ihnen einreden wollen, mundart ischscho guetaber…
aber waas?
Wenn wir nicht stolz darauf sind, dass wir mit fünf Millionen, die Schweizerdeutsch sprechen, Dichterinnen wie Maria Lauber und Dichter wie Rudolf von Tavel haben, deren Poesie und Prosa sich vor nichts verstecken müssen von hier bis Hamburg und Wien, dann ist es niemand für uns. Stolz sein auf unsere eigene Sprache und unsere eigene Literatur setzt voraus, dass Sie diese Literatur kennen, lesen, kaufen. Wenn Sie es nicht tun, tut es niemand für Sie. Sie sind das Publikum. Ohne Publikum gibt es zwar Literatur, doch keine Kultur. Der Bücherstand ist dort!